Hoehepunkte der Antike
wir gleichsam auf einer Insel stehen, was jene
antiken Autoren bestätigen, die davon sprechen, Alexandria liege zwischen zwei Meeren. Wir sehen die Kette der Schiffe, die
nach Norden segeln, eines nach dem anderen verschwindet hinter dem Horizont. Doch nicht weit davon entfernt tauchen im gleichen
Rhythmus Schiffe auf und bilden eine ähnliche Kette zu uns hin. Denn unser Standpunkt bildet das Ziel, die herausragende Anlaufstelle
an einer ansonsten brettflachen Küste. Während sich um das Mittelmeer herum die Seefahrer an auffallenden Bergformationen,
Doppelspitzen und ähnlich markanten Erscheinungen orientieren, ist die nordafrikanische Küste im Osten des Mittelmeeres so
flach wie das Wasser selbst. Wenn der Schiffer das Land sieht, sieht nicht nur alles ähnlich aus, es kann auch geschehen,
dass er sich bereits |86| in einer Zone gefährlicher Riffe befindet. Einige davon befinden sich direkt unter uns, auf einem steht der Leuchtturm selbst,
völlig von Wasser umgeben, andere behindern und schützen zugleich die Hafeneinfahrt; eines von ihnen ist das erwähnte „Stierhorn“.
Das heißt, das widrige Los des Kenterns konnte die Schiffe treffen, bis der Leuchtturm gebaut wurde, der ein weitaus besseres
Kennzeichen als jeder Berg darstellt, da er auch des Nachts das Land markiert, wenn er seinen Lichtstrahl über fünfzig Kilometer
weit aussendet. Polymarch von Naukratis beschreibt ein Ereignis, das sich im 7. Jahrhundert v. Chr. zugetragen haben soll,
aber auch zu jeder anderen Zeit hätte geschehen können:
Herostratos, unser Mitbürger, war in Handelsgeschäften hier und da unterwegs. Als er nahe der Küste Ägyptens entlangfuhr,
brach plötzlich ein Sturm über ihn herein, und es war nicht zu sehen, wo man sich befand; da flüchteten sich alle zu einem
kleinen Bildnis der Aphrodite und baten, sie zu erretten.
(Athenaios,
Gelehrtenmahl
15,675f –676a)
Aphrodite erhörte die Seeleute, und die Ptolemäer steuerten ihr Teil zur Eindämmung der Gefahr bei, indem sie den Leuchtturm
in Betrieb nahmen. Von der Höhe des Pharos betrachtet erstreckt sich Meer, soweit das Auge reicht. Im Westen verschwindet
der Horizont gegen die Kyrenaika hin, im Osten erahnen wir das gewaltige Delta des Nil, der sich in zahlreichen Armen ins
Mittelmeer, das „Große Grüne“ der alten Ägypter, ergießt, über das die Göttin Neith von Sais seit Ewigkeiten ihre schützende
Hand hält. Und im Süden, im gleißenden Sonnenlicht, glitzert der Mareotis-See, dessen Ausmaße wir von hier oben ebenso wenig
abzuschätzen vermögen wie diejenigen des Mittelmeeres. Im Osten scheint der See in den westlichsten und größten der Nilarme
überzugehen, der bei den Fremden mal nach der Stadt Kanopus, mal nach der Hafenstadt Heraklion benannt ist; für die Alexandriner
ist dieser Nilarm einfach der „Große Fluss“. An den Rändern des Mareotis-Sees erstrecken sich riesige Papyrusflächen, die
den Rohstoff für jenes Schreibmaterial liefern, das sich besser gestellte Kreise in der ganzen Mittelmeerwelt leisten und
dessen Name noch heute fortlebt in dem, was wir gerade in Händen halten: Papier. Diese Sumpf landschaft, vor allem diejenige
Richtung Osten, birgt allerdings noch ein anderes Phänomen, in |87| der Antike gleichfalls wohl bekannt, wenngleich überhaupt nicht beliebt. Hier ist sämtliches Räubergesindel Ägyptens zu Hause;
so beschreibt es der Liebesroman Heliodors um die Abenteuer von Chariklea und Theagenes – eine Literaturgattung, die ihre
Entstehung dem Hellenismus verdankt.
Der eine hat sich auf einem Fleckchen Erde, das aus dem Wasser ragt, eine Hütte gebaut, ein anderer lebt auf einem Kahn, der
Fahrzeug und Haus zugleich ist. Darin spinnen die Frauen die Wolle, darin gebären sie ihre Kinder, die sie zuerst mit Muttermilch
großziehen, dann mit an der Sonne gedörrten Fischen.
(Heliodor,
Aithiopika
1,5,2)
Lassen wir die Erinnerung an diese Gesellschaft sich in der flimmernden See auf lösen. Denn was uns vor allem fasziniert,
liegt zu unseren Füßen: Alexandria und die „Schlüssel Ägyptens“, wie sie der römische Autor Sueton einmal genannt hat: die
Häfen. Die Hafenanlagen, allein drei große Komplexe direkt in Alexandria selbst, bilden die Tore zur Welt. Im Westen sind
es der Eunostos-Hafen, der am Mittelmeer liegt, westlich der sich direkt unter uns hinstreckenden Insel Pharos, die dem Leuchtturm
Alexandrias und allen nachfolgenden
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