Hoehepunkte der Antike
Gordios noch genauer charakterisiert als ein armer Bauer mit wenig Land. Eines Tages hätte
sich ein Adler auf das Joch seines Pfluges gesetzt und sei bis zum Abend sitzen geblieben. Darauf hin wollte Gordios die Seher
in Telmessos um Rat fragen. Auf dem Weg dorthin begegnete er an einem Brunnen einer Jungfrau, die ebenfalls aus diesem Sehergeschlecht
stammte und ihm riet, nach Hause zurückzukehren und dem Zeus zu opfern. Er fragte, ob sie ihn begleiten würde, was sie auch
tat. Nachdem er geopfert hatte, heiratete er sie und sie bekamen einen Sohn, Midas. Als der Junge groß geworden war, brach
unter den Phrygern Streit aus. Ein Orakel verkündete ihnen, ihr zukünftiger König würde auf einem Wagen kommen. In diesem
Augenblick kam Midas mit seinen Eltern vorbeigefahren. Er wurde von ihnen als König anerkannt und beendete ihren Streit. Dann
weihte er den Wagen seines Vaters dem Zeus. Zusätzlich dazu, so Arrian, gab es auch noch die Erzählung, dass derjenige Herrscher
über Asien sein werde, der den Knoten des Jochs zu lösen imstande sei. Dieser Knoten nun sei aus dem Bast der Kornelkirsche
gewesen und man habe keine Enden an ihm entdecken können. Alexander jedoch wollte den Knoten unbedingt lösen und so erzählen
die einen, er habe ihn mit dem Schwert zerschlagen, und Aristobul, er habe den Jochnagel herausgenommen. Arrian gesteht ein,
dass er nicht entscheiden kann, wie der Knoten gelöst wurde, doch Alexander sei in der Überzeugung gegangen, das Orakel müsse
sich nun in ihm erfüllen. Dies sei dann auch durch Zeichen der Götter in der Nacht bestätigt worden, worauf hin Alexander
ihnen Opfer darbrachte. Die Version bei Plutarch (
Alexander
18) soll hier nicht ausführlich nacherzählt werden, da sie sich nur in ihrer Kürze von Arrian unterscheidet: Auch Plutarch
gibt an, dass der Knoten aus Bast von der Kornelkirsche war und die Enden des Knotens nicht zu sehen waren.
Ein wenig anders geartet ist die Fassung bei Curtius Rufus, von dem wir nicht genau sagen können, wann er gelebt hat – nur,
dass es in der Kaiserzeit gewesen ist. In seiner
Geschichte Alexanders
(3,1) betritt Alexander den Tempel, um sich den Wagen anzuschauen, auf dem Gordios, der Vater des Midas, gefahren sei. Der
Wagen hätte nicht anders ausgesehen |79| als die gewöhnlichen, ungewöhnlich seien nur die Knoten gewesen – hier sind es schon mehrere Knoten! Die Bewohner der Stadt
hätten ihm dann von der Prophezeiung erzählt, dass, wer die Knoten löse, Herr über Asien werden würde, worauf hin er es unbedingt
auch hatte probieren wollen. Seine Begleiter, Phryger und Makedonen, hätten Sorge gehabt, dass ein Scheitern als schlechtes
Omen gedeutet werden könne. Doch so viel Zeit habe sich Alexander nach Curtius gar nicht gelassen, er habe sofort sein Schwert
gezogen und den Knoten zerschlagen. Und so, schließt Curtius lakonisch, habe er das Orakel ungültig gemacht oder, wenn man
wolle, erfüllt.
Deutungsversuche
Was die Interpretation dieses Ereignisses angeht, so hat die Forschung – wie bei so vielen Ereignissen in Alexanders Leben
– bis heute keinen Konsens gefunden, hängt doch die Meinung des Historikers von der Beurteilung Alexanders persönlich und
der Überlegung zu den Quellen und deren Quellen ab. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass bei der Gordion-Episode kaum
zwei Historiker einer Meinung sind, und tatsächlich variiert das Spektrum von einem Extrem zum nächsten. So gibt es auch heute
noch die Anschauung, dass die ganze Episode erfunden und Teil der blühenden Alexanderlegende sei. Doch warum taucht sie dann
nicht im griechischen Alexanderroman auf, in dem es von allen möglichen und unmöglichen Geschichten um den Makedonenkönig
nur so wimmelt? Eine andere Ansicht ist, dass nur der Teil mit der Prophezeiung der Herrschaft über Asien erfunden sei. Darauf
werden wir noch genauer eingehen.
Lange Zeit hatte man darüber gestritten, wie Alexander den Knoten löste. Beide oben besprochenen Versionen könnten ja zu Alexander
passen: zu einem gottesfürchtigen, orakelgläubigen Alexander, der in einem Tempel vielleicht kein Schwert ziehen würde, aber
auch zu einem ungestümen, jungen und kreativen Alexander, der ganz keck seine Lösung durch einen Schwerthieb präsentiert.
Es ist sogar die Auffassung vertreten worden, dass Alexander durch die Schwertlösung zu einem Betrüger an den Göttern geworden
sei, die eigentlich verlangt
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