Höhepunkte
meinte sie mit dunklem Timbre in der Stimme: »Für mich könnte man eine ganze Menge tun.« Riedheims Augen verengten sich. Er hatte sich den Zwicker inzwischen wieder auf die Nase gesetzt. Sein Mund war geschürzt, und er nickte vor sich hin.
»Was zum Beispiel?« fragte er jetzt ganz ernst.
Lisa wußte auch nicht, wieso sie plötzlich so klar dachte. Sie wußte nicht einmal, wieso ihr ganzes Bewußtsein auf einmal wieder zum Anfang zurückkehrte.
»Ich habe mich immer malen lassen«, sagte sie. »Ich will aber eigentlich selbst malen.«
»Wo liegt die Schwierigkeit?«
»Daß ich davon nicht leben kann - noch nicht.«
Immer noch hielt Riedheim die Lippen geschürzt.
»Sie können sich bei Gelegenheit an mich wenden«, sagte er leise, zückte seine Karte und reichte sie ihr. Ehe sie danach greifen konnte, zog er seine Hand zurück und steckte ihr das Kärtchen mit süffisantem Lächeln in den Ausschnitt.
Er schien noch etwas sagen zu wollen, als die schrille Stimme seiner Frau das Stimmengewirr übertönte: »Eugen - Eugen, wo bleibst du denn?«
Auch Niki eilte gerade auf Lisa zu. Mit besitzergreifender Geste legte er den Arm um ihre Schultern und sah in die umstehende Menge, ehe er bekanntgab: »Das ist Lilly - die inspirierendste aller Musen.«
Zwischen Niki und der »inspirierendsten aller Musen« war es nicht mehr so, wie es einmal gewesen. Niki konnte nichts dafür. Es lag allein an ihr und ihrem törichten Herzen.
Wie es ohne Fedor weitergehen sollte, war ihr ein Rätsel. Wenn sie ganz mit sich allein war, fühlte sie sich sterbenselend. Lieber verrückt werden als so viel Sehnsucht! Sie wurde nicht verrückt. Sie mußte es aushalten, manchmal an der Grenze zum Wahnsinn. Sie steigerte sich hinein und tat merkwürdige Dinge, zerstörte Spiegel, zerfetzte Kleider, schüttete einmal sogar Salzsäure auf ein Bild, das Niki von ihr gemalt hatte, fertigte eine Skizze von Fedor und durchstieß sie mit Nadeln, saß oft stundenlang in nächtlicher Dunkelheit und wiegte sich vor und zurück, geriet plötzlich mitten in einem Gespräch in einen Zustand der Abwesenheit, fügte sich mit einem Rasiermesser kleine Schnittwunden an den Unterarmen zu und kratzte die Blutkrusten wieder auf, ehe sie vernarbten. Außerdem holte sie eine schwarze Katze ins Haus, die überall herumstrich, Farbtöpfe umwarf und an der von Niki bearbeiteten Leinwand ihre Krallen wetzte.
Von Niki wegen solcher Absonderlichkeiten zur Rede gestellt, ließ sie seine Tiraden geduldig über sich ergehen; in ihren Augen war ein dunkler Schimmer, an den Nikis Gezeter nicht herankam. Zwischendurch benahm sie sich dann wieder völlig normal.
Für Niki empfand sie absolut nichts mehr. Sie wußte auch nicht, ob sie je etwas für ihn empfunden hatte. Fedor hatte alles mitgenommen.
Ihre innere Balance war dahin. Trotz aller Wellenschläge, trotz Himmel- und Höllenfahrten hatte sie früher immer eine Gerade in sich gekannt, eine Linie, einen Weg, an dem sie sich orientierte, den sie zwar verließ, jedoch nie aus den Augen verlor. Jetzt war der Weg verschwunden.
Eine schmerzhaft glühende Sehnsucht engte ihr Bewußtsein ein. Sie sah nicht mehr darüber hinaus.
Früher hatte sie Franziska zu Reventlows Stoßseufzer verstanden: »Warum bin ich nur glücklich, wenn ich viele habe?« Jetzt glaubte sie, für Fedor alle anderen aufgeben zu können. Sexuell kam sie sich ohne ihn völlig tot vor, und trotzdem quälte sie eine sich nur auf ein Ziel richtende, blindwütige Lust, die keine Befreiung mehr fand.
Dann kam der Tag, an dem sie es nicht mehr aushielt und den Rest von Stolz über Bord warf.
Sie ging zu dem alten, verfallenen Haus, wo Fedor wohnte. An der Tür klingelte sie erst nach einigem Zögern. Er war nicht da. So ging sie wieder. Zwei Tage später traf sie ihn endlich an. Er öffnete, sah sie an und fragte:
»Was willst du?«
Die Frage traf Lisa in den Magen. Ihr wurde dunkel vor Augen, doch die Wirklichkeit ließ sie nicht los. Sie mußte es durchstehen - auch das.
»Ich will zu dir«, sagte sie und bemühte sich um einen selbstverständlichen Ton.
»Ich habe dich nicht gerufen«, sagte Fedor kalt und machte die Tür wieder zu. Sie stand draußen.
Wie betäubt wankte sie die Treppe hinunter, atmete den Bohnerwachsgeruch der Halle ein und stürzte dann hinaus. Sommerglut empfing sie. Ihr brach der Schweiß aus. Ein nüchterner Gedanke riet ihr: Geh nach Hause...
Nach Hause!
Sie erreichte Nikis Wohnung auf zitternden Beinen. Es war
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