Höhepunkte
trug und ihn noch Jahre weiter tragen würde. Fedor hatte sie nie malen gelehrt, doch er hatte ihr seine Augen gegeben und war, in gewissem Sinn, ihr künstlerischer Vater. Die wichtigsten Anstöße hatte er gegeben. Nun mußte sie zu sich selbst finden.
Dieser Weg war schon deshalb so schwer, weil Lisa innerlich von Fedor nicht freikam. Es gab Zusammenbrüche, auch Zusammenbrüche unter der Last des nie zu erreichenden künstlerischen Ideals, das Fedor auf einmal für sie war, jetzt, wo sie sehen konnte wie er. Vor allem aber fühlte sie sich verstoßen, ausgesetzt ins Niemandsland ihrer selbst.
Es gab keinen Weg zurück zu Fedor.
Aus künstlerischer Sicht durfte es auch kein Zurück geben. Die Malerin in ihr wußte und akzeptierte das, die Frau in ihr wollte zurück zu der schmerzhaften Lust, in das Sich-Auflösen in der Unterwerfung, zurück zu den besinnungslosen Orgasmen. Riedheim machte ihr allzu deutlich, was sie mit Fedor verloren hatte. Sie war nur froh, daß ihr Gönner zu Hause eine eifersüchtig über ihren Gatten wachende Frau sitzen hatte, der er nur selten entkommen konnte, ebenso, wie er seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen Tribut zahlen mußte. Ein braver Bürger - Gott sei Dank.
Die Liebesstunden mit ihm gestalteten sich für Lisa erwartungsgemäß nicht besonders erquicklich. Riedheim hatte eine deutliche Neigung zum Masochismus, und da Lisa diese Neigung teilte, kamen sie nicht so recht zusammen. Genaugenommen ertrug Lisa diesen um Qual winselnden Mann kaum. Da Riedheim gut in den Fünfzigern steckte, dazu schwerfällig und phlegmatisch war, mußte sie allerlei Kunstgriffe anwenden, um ihm überhaupt eine Erektion zu verschaffen. Sie hatte sich die Aufgabe einer Liebesdienerin einfacher vorgestellt. Einmal arbeitete sie eine halbe Nacht daran, Riedheim zum Erguß zu bringen. Wenn gar nichts mehr half, tat sie ihm den Gefallen und benutzte den Riemen.
Immer wieder versprach er ihr, sie eines Tages - bei passender Gelegenheit - »groß herauszubringen«.
Sie wagte sich jetzt auch an Porträts heran, eine Aufgabe, die sie bisher ängstlich gemieden hatte. Da es sie zur Perfektion trieb, arbeitete sie hart. Es gab nichts Wichtigeres als die Kunst. So kam sie auch langsam über Fedor hinweg. Sie malte den Schmerz und die Enttäuschung aus sich heraus - doch eine Sehnsucht, groß und weltenfüllend, blieb zurück.
Sie lernte in dieser Zeit aber auch das Glücksgefühl genießen, vor einem gelungenen Bild zu stehen und einfach nur zu spüren, daß es gut geworden war.
An Niki dachte sie kaum. Wenn, so mit angenehmer, leiser Wehmut, ohne Sentimentalität. Es war vorbei, die Zeit dafür abgelaufen. Sie wünschte es nicht zurück, obwohl es manchmal schön gewesen war.
Von ihren Liebesdiensten an Riedheim abgesehen, lebte sie bis in den Sommer hinein fast keusch. Es gab keine Liebhaber. All ihre Leidenschaft, auch ihre erotische Phantasie, fand Eingang in ihre Malerei.
Im Juni jedoch, als sich bereits ein schweres Gewitter über Europa zusammenbraute, forderte die Natur ihr Recht. Lisa war eine leidenschaftliche Frau - und gab für zwei Wochen einem Wanderschauspieler die Ehre.
Der Krieg kam für Lisa aus heiterem Himmel.
Am Anfang ignorierte sie ihn erschrocken, da er nicht in ihre Welt paßte.
Beim Metzger wie beim Bäcker hatte sie die Leute über einen drohenden Krieg mutmaßen hören, aber nie daran geglaubt. Krieg - das war »Männerspiel«, das ging sie nichts an.
Alle Welt schien jedoch auf diesen Krieg vorbereitet zu sein, nur sie nicht. Sie merkte, daß sie alles, was sie nicht ganz direkt anging, fortgeschoben hatte, um in einer Welt zu leben, die sie sich schuf. Nun sollte es anders werden...?
D. H. Lawrence
Ein Brief von Hilda lag auf dem Frühstückstablett. »Vater fährt diese Woche nach London, und ich hole Dich Donnerstag in einer Woche, am 17. Juni, ab. Du mußt fertig sein, damit wir sofort aufbrechen können. Ich möchte keine Zeit auf Wragby vergeuden, es ist so scheußlich dort. Wahrscheinlich bleibe ich über Nacht in Retford, bei den Colemans, so daß ich am Donnerstag zum Mittagessen bei Dir sein würde. Dann könnten wir um die Teezeit aufbrechen und vielleicht in Grantham übernachten. Es hat keinen Sinn, mit Clifford noch einen Abend zu verbringen. Wenn er so sehr dagegen ist, daß Du wegfährst, würde es kein Vergnügen für ihn sein.«
So! Sie wurde also schon wieder auf dem Schachbrett herumgeschoben.
Clifford graute sich davor, sie gehen zu lassen -
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