Höhepunkte
still. Niemand hier.
Lisa warf Hut und Täschchen weg. Dann holte sie, ganz ohne zu überlegen, Leinwand und Farben und begann, wie eine Besessene zu malen. Sie malte und malte und ertränkte sich in Farben, in einen wahren Blutrausch aus Rottönen und Bestialitäten.
Als Niki kam, traf ihn schier der Schlag. Er konnte bloß stammeln: »Was soll das denn?«
Sein Zornesausbruch kam erst ein paar Tage später, als er leicht angetrunken sein Atelier betrat und Lisa wieder vor der Leinwand fand. Sie malte ein Zimmer. Weiß. Dunkle Konturen. Ein Zimmer und trotzdem das Nichts.
Niki wütete, es sei pervers, ein leeres Zimmer sei für jeden Künstler uninteressant, sie brauche sich gar nichts einzubilden, sie besitze keine Spur von Talent, man müsse, wenn man schon auf die Darstellung von Menschen verzichte, wenigstens die Natur verherrlichen, aber ein leeres Zimmer, nein, das sei der Gipfel der Dekadenz. Da seien ihm ja noch Wassilijews »nackte Abartigkeiten« lieber!
Lisa hörte Fedors Namen, griff nach der Sherry-Karaffe neben sich auf dem Tischchen und donnerte sie zu Boden. Wortlos packte sie daraufhin das Nötigste ihrer Sachen zusammen und zog, mit nur ein paar Mark in den Taschen, in die nächste Pension, wo sie sich eine Woche lang einschloß und nahezu Tag und Nacht malte. Ihr ganzes Geld ging hin für Farben, Kohlestifte, Leinwand und Papier.
Als sie von allein nicht zurückkam, holte Niki sie wieder. Recht willenlos ließ sie sich diesen neuerlichen Eingriff in ihr Leben gefallen. Er zog sie sofort ins Bett und schien in seiner Leidenschaft nicht zu bemerken, wie kühl sie blieb. Jedenfalls versprach er ihr, sie täglich zwei Stunden malen zu lassen.
Den ganzen Herbst und den ganzen Winter über hatte Lisa das Gefühl, nur für zwei Stunden am Tag zu leben. Oft vergaß sie die Zeit und mußte von Niki daran erinnert werden, daß es nach elf sei. Ihre Bilder gaben ihre Gefühlswelt wieder. Niki war von ihrer »perversen Phantasie« einigermaßen schockiert. Am meisten mißfiel ihm ihre künstlerische Anlehnung an Wassilijew. Er nannte ihre Bilder »Alpträume« und verstand nicht, was Lisa zwanghaft dazu trieb, Visionen des Grauens festzuhalten. Er verstand überhaupt nichts von Lisas Kampf.
Niki rettete sich in Weibergeschichten. Vollkommen unberührt sah Lisa zu. Mit Mia, einer makellos gewachsenen, sehr hübschen Schwarzhaarigen, trieb er es nahezu vor ihren Augen. Und es war ihr egal. Mit einer sonderbaren Faszination schaute sie zu, am meisten fasziniert von sich selbst, weil sie nicht litt, aber spürte, daß Niki litt und sie es nicht verstand.
Anfang Januar ließ Lisa sich ihrerseits in eine amouröse Verstrickung ein. Ein junger, weithin unbekannter Lyriker, der ihr »neuromantische« Liebesgedichte en masse schickte, hatte sich während einer kurzen Begegnung auf einem Maskenball zu Ehren des griechischen Gottes Dionysos in sie verliebt. Blond und zart wie ein Engel, war er ihr auf diesem wilden Boheme-Fest wie ein Verirrter erschienen. Er hatte von einer Ecke aus zugesehen, mit Augen voller Sehnsucht nach dem Leben, das ihn nicht erreichte. In seiner sonderbar hellen, unschuldigen Reinheit hatte er Lisa ein wenig an Morell erinnert, nur gefühlsverwurzelter und weniger intellektuell.
Wenn Niki außer Haus war, schickte ihr Riloff, der Neuromantiker, Blumen und empfindsame Verse, über die Lisa lächeln mußte. Seine Verehrung ließ sie sich aber gerne gefallen.
Für Rainer Riloff war sie eine Madonna, unbefleckt vom Schmutz der Welt. Sie sah alles und blieb doch immer eine »reine Lilie«. Dabei war er es, der alles sah und nur das »Reine« spürte. Er legte seine eigene Weitsicht in sie hinein. Daß Lisa mit einem Mann zusammenlebte und Fedor Wassilijews Sklavenband trug, nahm er einfach nicht zur Kenntnis.
Es gab keine Liaison. Riloff liebte platonisch. Lisa förderte seine Verliebtheit nicht, tat aber auch nichts dagegen. Sie war amüsiert und ein bißchen geschmeichelt.
Als Niki von der Sache Wind bekam, war seine Reaktion dramatisch wie immer. Er schlug Rainer Riloff, dieses schwärmerische Menschenkind, das nur Gedichte rezitiert und in Lisas Augen geschaut hatte, einfach zusammen und stieß ihn in den Schnee. An Lisas Liebhabern hatte er sich bisher noch nie vergriffen, sondern immer nur Lisa für schuldig befunden. Seit er jedoch wußte, Lisa nicht mehr verletzen zu können, richtete sich seine Aggression gegen den Anlaß des Ärgers.
Vom Fenster aus sah sie zu, wie der arme
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