Höhepunkte
seinen Hals hing das Kruzifix, das seine Mutter ihm zur Erstkommunion geschenkt hatte und das oft die fülligen Brüste der schönen Maria gestreift hatte. Und um seine Brust lag das drückende Gefühl von Steinen und Erde, das schwache, pulsierende Gefühl in den Gelenken, die zu Wachs wurden, als müßte er jede Sekunde zusammenbrechen.
»Sie sagte, sie liebt mich noch immer. Sie sagte, sie denkt die ganze Zeit an mich. Sie sagte, sie wollte mich niemals verletzen. Sie sagte, manchmal, wenn sie nachts im Bett liegt, muß sie an mich denken und kann mich in sich fühlen. Sie sagte...«
»Nestor, hör auf damit.«
»Sie sagte, sie hätte mich geheiratet, wenn da nicht diese eine Sache gewesen wäre, dieser andere Mann in ihrem Leben, ein alter prometido aus der Stadt, wo sie herkommt. Daß er einfach jemand ist, den sie vergessen wollte. Ein Provinzler, der sich nicht um sie kümmerte, als sie zusammen waren, und der herkam, um sie zurückzuholen, und -«, er bedeckte sein Gesicht mit den Händen, »- sie fühlte, daß sie zu ihm zurückgehen mußte und...«
»Nestor, hör auf.«
»Sie sagte, sie wird sich immer an unsere schönen Zeiten zusammen erinnern, aber er war vor mir da, und, na ja, jetzt ist unser Schicksal besiegelt. Sie sagte, daß sie ihn aus innerem Schmerz geheiratet hat. Sie sagte, sie wollte mich nie hintergehen, und daß sie mich wirklich geliebt hat. Sie sagte, es würde ihr das Herz brechen, daß wir uns nicht schon viel früher getroffen haben, aber dieser Mann war immer schon der, den sie liebte... «
»Nestor, sie war wie eine puta ! «
»Sie sagte, ihre wahre Liebe bin ich, aber...«
»Nestor, hör auf. Mann, hast du keine Eier mehr? Du bist besser dran ohne sie.«
»Ja, besser.«
Catherine Texier
Johnny im Glück (wenn du es wagst)
Johnnys Wohnung ist eine dunkle Dachmansarde mit einer Matratze auf einem Podest in einer Ecke und einem Gewirr von Laken, das auf den Fußboden quillt, einem Kamin, unbeholfen in die Mauer gehauen und einer Tonanlage, die den verbleibenden Raum ausfüllt. Die Drähte laufen über den Fußboden, bilden dicke Knäuel an den Steckdosen, und Hunderte von Tonbändern und Plattenalben kämpfen darum, nicht aus den Regalen zu fallen.
Nachts knipsen sie die elektrischen Birnen aus, zünden Kerzen an und lauschen dem Sound von New York. Verzerrte Schatten strecken sich auf den unverputzten Wänden.
Wir sind die Letzten, sagt Johnny, die letzte Generation. Wir hausen in Löchern wie die Ratten. Hinter ein paar Steinen, die von der Straße geholt wurden.
Du hast Glück, sagte Eva. Du kannst aus New York wegziehen. Und wohin?
Sie zeigt aus dem Fenster, Richtung Westen.
Nach Jersey.
Niemals.
Ach, erzähl mir doch nichts.
Ich sage dir: niemals.
Die Nächte bei Johnny sind dunkelrot, nicht wie am Times Square, wo sie rot sind. Die Winternächte sind verkrustet und still, ein eisiger Nebel wird gegen die Fensterscheiben gepreßt. Die Handflächen bleiben am Glas kleben, auf den Mustern des Frosts. Die Nächte sind scharf wie Kristall.
Sie liegen in Pullovern und Socken auf der Matratze und beobachten, wie die letzte Glut erlischt.
Eines Tages wird das Haus in Flammen aufgehen, sagt Eva. So, wie die Lower East Side abbrannte, Harlem abbrannte, die South Bronx abbrannte.
Johnny drehte sich zur Seite, um sich eine Zigarette anzuzünden. Die Streichholzflamme erhellt seine Augen und zeichnet tiefe Furchen in seine Wangen.
Nein, wir sind vorsichtig, sagt er und wirft das Streichholz quer durch das Zimmer in die Glut.
Sie versteckt sich in Johnnys Wohnung. Niemand auf der Welt kann sie hier erreichen. Du bist so weit weg von New York wie nur irgend möglich und trotzdem mitten in der Stadt. Wie im Niemandsland. Ein Nomadenland. Aber Johnny ist ein Nomade, der Manhattan nicht verläßt. Er ist ein Herumtreiber mit Wurzeln, ein Typ, der sich im Fernsehen ansieht, wie die Yankees die Red Sox schlagen. Er hat einen Joint in der Hand und eine Dose Bud zu seinen Füßen, liegt an zwei Kissen gelehnt, zwischen wirren Drähten und dreckigen Klamotten, genauso, wie er es bei seiner Mom in Jersey machen würde, während um ihn herum der stumme Kampf der Stadt tobt.
Eva kommt. Sie trägt eine braune Papiertüte, steigt über die Drähte der Tonanlage, kickt einen Haufen mit Klamotten aus dem Weg, schiebt auf dem Tisch ein paar schmutzige Becher und herumliegende Zeitschriften beiseite und stellt die Einkaufstüte neben der Kaffeemaschine ab, die ständig in Betrieb
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