Höhlenangst
die ihn erwarte te, verglichen mit der für Mord. Aber nach Mord fühlte es sich ja auch nicht an. Winnie musste nur das Seil oben am Haken durchschneiden. Aus eigener Kraft kam Haugk nicht mehr hoch, aber gleich zu Tode gestürzt haben muss er sich ja nicht. Wärst du da runtergestiegen, auf die Gefahr hin, in zwar tödlich erschöpfte und verzweifelte, aber nicht gebrochene Augen zu blicken?«
Ich schnallte mir die Uhr um. »Nee.«
»Für wen hübschst du dich eigentlich so an?«
»Für Winnies Witwe.«
Richard warf in der Küche der Front der Staatsanwaltschaft mit ihren spiegelnden Fenstern, der beschrankten Einfahrt, den Scheinwerfern an der Dachkante und den Sendemasten einen letzten sehnsüchtigen Blick zu. »Na gut. Da kann ich dann ja auch gleich bei Hildegard meine Sachen abholen.«
Bei Neckartenzlingen klingelte mein Handy.
»Hallo, Lisa?«, knarzte es. »Bodo Schreckle hier. Janette hat mir Ihre Nummer gegeben. Ich hoffe, ich störe nicht.«
»Nein, was gibt’s?«
Er hüstelte. »Ich weiß es nicht so genau.«
»Raus damit!«
»Wahrscheinlich ist gar nichts. Ich war nur gerade im Rabenhaus und Gerrit wirkt etwas … wie soll ich sagen … ernst ist er ja immer. Aber diesmal wirkt er … zu tapfer. Er ist allein und sagt nicht, wo sein Vater ist. Irgendetwas stimmt da nicht.«
Bodos Erregung war auch nicht ganz stimmig. »Bo do«, sagte ich, »wenn Sie nicht der Lehrer wären, würde ich Ihnen auf den Kopf zusagen, dass Sie ein schlechtes Gewissen haben.«
Stille.
»Sind Sie noch dran?«
»Sie haben Recht, furchte ich, ich habe da etwas zu Hark gesagt, was ich nicht hätte sagen sollen. Beim Bä cker heute früh. Im Reutlinger Tagblatt war doch dieses Foto von Achim Haugk. Ich weiß nicht, ob Sie –«
»Ich habe es gesehen.«
»Das isser, Lisa.«
»Wer?«
»Der Mann, mit dem ich Sibylle in Ulm gesehen habe und dann noch mal im Wald bei der Laichinger Tiefenhöhle in … eindeutiger Position.«
»Ach was! Achim war tatsächlich Sibylles Geliebter?«
Bodo hüstelte. »Und das wirft doch nun ein ganz neu es Licht auf … auf alles.«
»Was alles?« Wir streiften Metzingen, ein einziger Schilderwald zu den Factory-Outlets namhafter schwäbischer Textilindustrie.
»Na«, sagte Bodo, »wenn dieser Kerl Sibylles Geliebter war, dann hätte Hark doch ein Motiv gehabt. Nicht wahr?«
»Stimmt, Mr Holmes«, antwortete ich.
»Jedenfalls, ich habe unter dem Eindruck des Artikels und der Fotos zu Hark gesagt, es werde Zeit, dass er den Vorsitz des Naturforschenden Vereins Schwäbische Alb abgebe. Und zwar, bevor die Polizei den Fall wieder aufrollt und womöglich Anklage gegen ihn erhebt.«
»Was habt ihr nur gegen Hark Fauth, Janette und Sie«, seufzte ich. »Was er Janette getan hat, weiß ich. Aber was hat er Ihnen getan, Bodo?«
»Nichts.«
»Ja?«
»Ach, wissen Sie, wenn Sie mal so viele Jahre auf dem Buckel haben wie ich, dann werden Sie das vielleicht verstehen. Als junger Bursche wollte ich den Mount Everest und den Nanga Parbat besteigen, doch dann habe ich Renate kennen gelernt. Ich habe geheiratet und bin Volksschullehrer geworden. Und ich habe es nie bereut.«
Ich musste lachen. »Dennoch grollen Sie dem Höhlenkrokodil irgendwie, weil es nicht dieselben feinen Rücksichten auf seine Frau genommen hat, die Renates Patenkind war.«
»Ich weiß, es ist kindisch. Es war schließlich damals meine Entscheidung, und er hat eine andere getroffen. Es hat mir dann auch Leid getan, und deshalb bin ich heute Mittag zum Rabenhaus gegangen, um mich bei Hark zu entschuldigen und meine Rücktrittsforderung zurückzunehmen. Schließlich war ich ja auch in keiner Weise dazu autorisiert. Und da finde ich Gerrit allein im Haus. Aber wahrscheinlich ist gar nichts los, und ich mache mir völlig unnötig Gedanken.«
»Vermutlich, Bodo. Hark ist ein sehr gewissenhafter Vater. Und Gerrit ist alt genug, mal zwei Stunden alleine zu Hause zu sein.«
»Wahrscheinlich haben Sie Recht. Entschuldigen Sie die Störung.«
»Keine Ursache, Bodo!«
Doch er hatte es geschafft: Das vage Gefühl der Bedrohung war wieder da. Aber vermutlich flirrten meine Nerven einfach noch.
37
»Nein«, wiederholte Eva, »die Uhr hat meinem Mann nicht gehört. Nein, bestimmt nicht.« Ihr Blick aus tro cken geweinten Augen lagerte sich wie Kalkstaub auf Richard ab. »Aber Sie sind doch der, der am Donnerstag schon einmal hier war. Und dann hat man Sie verhaftet. Steht in der Zeitung. Ich habe Sie gleich erkannt auf
Weitere Kostenlose Bücher