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Höhlenangst

Höhlenangst

Titel: Höhlenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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einem Absatz in einer Erweiterung und leuchtete mit der Handlampe in bodenlose Tiefe. Aus einem Spalt quoll Tropfstein. Der Sinter nässte.
    »Eigentlich«, sagte Hark, »müsste er hier sein. He! Hallo! Wo sind Sie?«
    Nichts.
    »Dann die Seeigelhalle. Wenn ich eine Nacht hier unten ausharren müsste, würde ich es dort tun.«
    Im Streiflicht der Handlampen änderten Steine, Spalten und Löcher ständig ihre Form, tanzten hin und her und klappten auf und zu.
    »O Gott!«, entfuhr es mir.
    Hark fasste mich am Arm. »Alles okay?« Seine Helmlampe blendete.
    »Hark, es atmet. Und ich frage mich, wann es uns herunterschluckt.«
    »Willkommen im Club!« Da er Kopf und Lampe abwandte, sah ich ihn grimmig lächeln. »Jedes Mal fordern wir den Drachen heraus. Und wenn wir ihn beleidigen, dann entlässt er uns nicht mehr.«
    Er nahm sein Seil und hängte es mit einem Karabiner in einen Sicherungshaken, der zum Einstieg in die Seeigelhalle leitete, stieg hinüber und verschwand in der zuckenden Spalte. Ich folgte ihm zügig. Seine breiten Schultern verwehrten mir den Überblick. Links und rechts flackerten Steine, Streben und Schrunde. Vierzig Meter waren wir inzwischen tief, und ich hatte gänzlich die Orientierung verloren.
    Das nächste Wort, das Hark ausstieß, lautete: »Kameradenschacht.« Er wandte sich um und guckte in den Massen springender Steine erneut ein Loch aus, das nach einiger Kraxelei über Schmodder an eine Röhre führte, die sich lotrecht nach unten bohrte.
    Hark warf sein Seilende hinab. Es dauerte, bis man es unten aufschlagen hörte. Eine Endlosigkeit von zehn Metern, Während er sich fertig machte und hinunterließ, war ich zu eigenen Entscheidungen nicht mehr fähig, nur noch dazu, mich darauf zu konzentrieren, dass meine Fahrt mit dem Abseiler nicht zu rasant wurde. Dabei vermied ich es, die Spalten der tektonischen Verschiebungen in die Idee vom ungeheuren Gewicht aus Stein umzuwandeln, das mich sogleich zermalmt hätte.
    Als ich im Schachtfuß landete und mich zu Hark umdrehte, lehnte er erstarrt an der Wand. Hinter seinen Fersen das aufgerissene Maul einer Röhre.
    »Was ist?«
    »Bleib, wo du bist. Komm nicht näher! Beweg dich nicht!« Ganz langsam streckte er den Arm aus und deute te in den abschüssigen Tunnel vor uns. »Dort … der Einstieg zur Unteren Halle.«
    Ich nahm meine Handlampe und umfasste den Abseiler und tat, was er mir ausdrücklich verboten hatte, ich rückte langsam zum Durchschlupf und damit zwischen ihn und den Abgrund vor. Der Trichter im Boden eierte.
    »Nein«, schrie Hark heiser, packte mich am Arm und riss mich zurück. Wir knallten gegen die Wand im Schachtfuß. Meinen eigenen Aufprall konnte ich mit der Hand am glitschigen Felsen halbwegs abfangen. An meinem Ellbogen schraubstockte Harks Hand. Er keuchte.
    »He, du tust mir weh!« Diesmal musste ich den Griff immerhin nicht aufbrechen. »Es kann nichts passieren, Hark. Wir sind beide angeseilt.«
    Er atmete angestrengt aus. »Sibylle hat mich nicht dort hinuntergestoßen! Auch wenn ihr das alle glaubt!«
    »Ist das die schlimmste Variante, Hark? Dass auch sie dich töten wollte?« Eine schwärzliche Verfärbung an meinem linken Handschuh querte währenddessen mein Bewusstsein. Ich blickte vom Handschuh die Schlotwand hoch, an der ich mich eben abgestützt hatte. »Was ist das?«
    Im Schein meiner Stirnlampe tauchte am ockerfarbenen Fels ein ebenfalls schwarzer Fleck auf.
    Harks mehlige Augen wurden plötzlich klar. Er zog den Handschuh aus und fuhr über den Fleck an der Wand. »Wagenschmiere! Da haben ein paar Idioten wieder mal einen Greifzug oder die Rollen eines Flaschenzugs geschmiert. Genau deshalb soll man das nicht tun!«
    »Die Schmiere an Sibylles Seil, Hark! In Winnies Gutachten stand etwas davon, dass ihr Seil an einer Stelle eine Verunreinigung aufwies, aber zu weit oben, um den Sturz beeinflusst zu haben.«
    Hark ächzte und sank mit dem Rücken an der Wand in die Hocke. »Ja, so war das!« Seine Augen wirkten fast weiß im Licht meiner Lampe.
    »Was ist passiert, Hark?«
    »Wir haben die Abseiler getauscht. Ja! Sibylles war verschmiert. Davon, vom Wagenfett. Sie sollte zur Sicherheit meinen nehmen.«
    »Und dazu musstet ihr euch ausseilen.«
    Er nickte. In seinen Augen lief der Film ab, dessen Untertitel er mir hastig vorlas.
    »Ich habe ihr meinen Petzl-Stop gegeben und ihren genommen. Hier stand sie. Ich stand da drüben, zwischen ihr und dem Durchschlupf. Für sie bestand keine Gefahr, wenn wir

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