Höhlenangst
seitdem überdeckte er seine Scham mit einer heroischen Angst.
Gelächter flatterte in meinem Zwerchfell, aber es ließ sich mit fest zusammengepressten Backenzähnen zur Raison bringen. »Kehren wir um«, sagte ich. »Hier unten befindet sich außer uns garantiert kein lebendiges Wesen.«
Hark blickte auf seine Uhr. »Es wird auch Zeit«
Unsere Seile baumelten aus der Finsternis des immensen Schlots herab. Meine Knie quietschen jetzt schon. Der Aufstieg mit Seilklemmen ähnelte dem Aufstieg an einer Leiter, nur dass dabei alles wackelte und pendelte. Als wir am Schrägschacht ankamen, der zum Ausstiegsschacht führte, hatte ich mich mit meiner Existenz als Grottenolm abgefunden. Sonnenlicht, Schatten, Halbschatten, Blattgrün und Tannengrün machten das Leben nur unnötig kompliziert. Nie wieder auftauchen war durchaus eine Lebensperspektive. Hier unten war alles einfach: Seile, Kameradschaft, Leben oder Tod.
Ich wechselte zum Absatz auf der anderen Seite des Schrägschachts, während Hark hinter mir aus dem Loch kroch. Dabei fiel mein Blick in die Tiefe des Schachtfußes, der wie das Tote Ende aus der Mondscheinhöhle wirkte, nur größer.
Zwei rote Punkte glühten mich an.
In einer Höhle fallen die Masken. Ich kreischte wie eine hysterische Nonne. »Da unten, Hark! Der Satan!«
Er leuchtete mit seiner Handlampe hinab.
Der Satan hatte Schlappohren, kurze Beine und ein dünnes Schwänzchen, das hoffnungsvoll wedelte.
Hark lachte laut heraus.
Das Schwanzwedeln verzitterte in fragender Verwunderung. Einen Moment stand die Rute still. Dann wedelte sie erneut, und das Teufelchen sagte: »Wuff!«
»Dackel sind blöder, als die Polizei erlaubt!«, knurrte Hark. »Im Jagdfieber stürzen sie sich in jedes Loch, und klein genug ist der hier ja, um durchs Gitter oben zu passen, und dann ging es halt nur noch abwärts. Und jetzt haben wir den Salat.«
Während Hark in die Eingangshalle hochkletterte, um den Schleifsack für die erste Hilfe zu holen, ließ ich mich zu dem Hündchen hinunter, das in den Trümmern von Harks Handy stand und vor lauter Wedeln fast von seinem Schwanz abflog. Es leckte mir heiß meine rasch von den Handschuhen befreiten Hände und sprang mir in den Schoß. Ein Prachtexemplar von Rauhaardackel, wenn auch noch nicht ganz im Drahthaarpelz des erwachsenen Rüden, vielleicht ein bis anderthalb Jahre alt. Ein Halsband trug er nicht.
Zehn Minuten später fielen Hark und der Schleifsack auf uns herab. Er sammelte die Reste seines Handys ein – nichts kaputtmachen, nichts zurücklassen, nichts totschlagen – und verpackte den zitternden Hund in eine knisternde Warmhaltefolie, versah das Paket, aus dem nur der Kopf ragte, mit Karabinern und hängte es ins Seil, das am Flaschenzug überm Höhlenmund hing.
Er hantierte rasch. Jeder Handgriff saß. Doch der Achterknoten für die Schlaufe im Seil zerfiel ihm zwei Mal, so erschöpft war er. Dann endlich hing der Dackel im Rettungsdreieck. Ich stieg voran und zog ihn über den Flaschenzug Strecke für Strecke zu mir hoch, während Hark nachstieg und aufpasste, dass der kleine Satan nicht gegen die Wand pendelte.
Der Sinter schillerte in Ockertönen. Wasser rieselte aus Spalten, Schrunde lockten ins Abenteuer. Die Schönheit der Unterwelt war ohne Anstrengungen nicht zu haben, aber die Hirnchemie signalisierte Glück. Meine Reise durch die Angst näherte sich dem Ende, meine Wiedergeburt stand unmittelbar bevor. Man sagte ja auch, dass der Geburtsstress den Säugling fürs Leben wappnete. Ich konnte es brauchen, denn ich war ein Kaiserschnittkind.
40
Droben dämmerte es. Zwei Paar Hände packten mich, als ich mich aus dem Betonviereck stemmte. Ich griff Bodo Schreckle in den Anorak und Richard ins Jackett.
»Na bitte!«, sagte Bodo. »Es ist doch alles in Ordnung.«
Richard quälte die ausgestandene Sorge durch ein Lächeln aus seinem Gesicht. »Das machst du nie wieder, Lisa, hörst du! Nie wieder!«
Janettes Gesicht zeigte ebenfalls Verwüstungen. Aber anderer Art. Am Flaschenzug stand Gerrit und zog das Hundepaket auf den Waldboden. »Ein Dackel! Ein kleiner Dackel!«
»Hark!«, rief Janette. Bodo streckte erneut seine Hän de aus, aber Hark stemmte sich alleine aus dem Loch, wenn auch mit sichtlich letzter Kraft.
»Papa!«
Hark, noch auf Knien, zog den Jungen an sich. »Alles ist gut!«
Gerrit lächelte bis in die Augen hinein.
Janette blickte auf das Paar hinab, skeptisch und besitzergreifend zugleich, großzügig und
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