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Höhlenangst

Höhlenangst

Titel: Höhlenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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mitfühlend, aber auch verletzt und verklemmt.
    »Hallo, Janette!«, sagte Hark leise, aber mit einem Keim von Wärme, und erhob sich. »Hallo, Herr Weber, hallo, Bodo. Wo kommt ihr auf einmal alle her?«
    »Ich muss mich entschuldigen, Hark«, purzelte es aus Bodo heraus. »Es tut mir Leid, was ich heute früh zu dir gesagt habe. Ich hatte kein Recht dazu. Es war ungehörig und ungerecht.«
    »Nein, du hattest Recht. Ich hätte schon längst Konsequenzen ziehen müssen.«
    »Nein!«
    »Doch, Bodo.«
    »Sollten wir nicht im Eseleck anrufen?«, unterbrach ich den Ehrenhandel. »Damit die wissen, dass wir wieder da sind.«
    Diesmal war es Janette, die Hark ihr Handy reichte. Er meldete uns zurück, während Gerrit und ich den Dackel aus seiner Verpackung befreiten. Er nahm sogleich die zurückgewonnene Welt in Besitz und schnüffelte sich durchs Laub, zog aber seine Pfoten immer wieder respektvoll vom Betonrand des Höhlendeckels weg, sobald ihn seine Nase über das Viereck geführt hatte.
    »Der hat gelernt«, bemerkte Hark. »Los, lauf nach Hause!«
    »Können wir ihn nicht behalten?«, fragte Gerrit.
    »Der gehört sicher hier irgendwo her.«
    »Ksch!«, machte ich. »Los, lauf. Fresschen!«
    Der Prachtkerl blickte mich mit haselnussbraunen Augen an. Das Verständnis der Kreatur für unsere menschlichen Anwandlungen wird doch enorm überschätzt.
    »Hau ab. Du bist frei!«
    Er sprang an mir hoch und wedelte.
    »Falsch!«, sagte ich und drehte ihn mit der Schnauze zum Waldweg. »Da geht’s lang.«
    Begeistert drehte er sich zu mir zurück und leckte mir die Hände.
    »Der geht schon«, sagte Bodo. »Kümmern Sie sich einfach nicht mehr um ihn. Dann läuft er schon nach Hause.«
    Also kümmerte ich mich zusammen mit den anderen um den Abbau des Flaschenzugs, das Bündeln der Seile und Einpacken der Ausrüstung. Nur Gerrit war seinem Vater wirklich eine Hilfe. Janette machte immer die falschen Schleifsäcke auf und reichte Hark die Dinge, die er vorerst beiseite legte. Sie hatte viel Terrain wieder aufzuholen. Bodo betrachtete die Dinge mehr vom philosophischen Standpunkt. »So ist das doch immer. Da denkt man sich sonst etwas aus, und dann ist es bloß ein Dackel.«
    Der Dackel dachte gar nicht daran, nach Hause zu laufen. Unangenehmerweise war ich es, die er aufmerksam beobachtete. Sobald ich ihm einen Blick zuwarf, wedelte er erfreut mit der Rute. Schaute ich nicht gleich wieder weg, zuckte sein ganzer Körper, im Begriff aufzuspringen und mich anzubaggern.
    »Warum seid ihr denn gekommen?«, erkundigte ich mich, die Seile in den Schleifsack stopfend, den Richard aufhielt.
    »Weil du schon eine Viertelstunde, nachdem Hark Gerrit angerufen hatte, nicht mehr an dein Handy gegangen bist.« In seiner Stimme knöterte etwas, das mich warnte, jetzt keine flockige Bemerkung zu machen.
    »Und warum hast du anzurufen versucht?«
    »Weil dieser Herr Schreckle und Janette gekommen sind. Als ich ihnen erzählte, dass du zum Todsburger Schacht gefahren bist, hat Janette Zustände bekommen. Sie hat mich beiseite genommen und behauptet, in die sem Schacht hätte Hark seine Frau umgebracht. Und wer weiß, was er heute tut!«
    »Die spinnt doch!«, knirschte ich zwischen den Zäh nen hervor. Da drüben scharwenzelte sie mit ihren knackigen Hinterbacken um Hark herum, ein Lächeln, das hormonellen Stress verriet, auf den Lippen, Unterwürfigkeit in den Augen, Eilfertigkeit in den Händen.
    »Und nach dem Unfall mit Harks Seil am Wilden Hund«, fuhr Richard fort, »musste ich den Eindruck haben, du befändest dich in Lebensgefahr.« Seine Stimme wackelte.
    Armer Richard! Schon einmal hatte er mich in Lebensgefahr gewusst und war beinahe zu spät gekommen. Was für ein grauenvolles Déjà-vu für ihn. Zum zweiten Mal derselbe Fehler. Und diesmal kam er tatsächlich zu spät. In dieser Gewissheit musste er im Fond von Janettes Golf neben Gerrit stumm verzweifelt sein, während sie kurzsichtig um die Kurven schusselte.
    »Tja«, bemerkte ich. »Mit mir macht man halt was mit.«
    Er ließ den Sack los und wandte sich ab.
    Heftiges Mitleid überfiel mich, jenes Mitgefühl, das einem in den Gelenken wehtut, weil man auf einmal die Gefühle eines anderen Menschen, den man in letzter Zeit nicht sehr gut behandelt hat, in sich selbst knirschen hört, unendliche Scham darüber, wie man vergessen konnte, dass der andere kein Müllplatz ist, sondern ein blutendes Wesen.
    »Richard, es tut mir Leid.« Ich ließ den Sack umkippen und stolperte ihm

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