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Höhlenangst

Höhlenangst

Titel: Höhlenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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meine ungetreue Ehefrau erhoben habe. Dann ken nen wir selbst uns niemals wirklich.
    Gerrit besitzt ein Album mit Zeitungsausschnitten. Er hat es mal auf seinem Tisch liegen lassen. Darin ist auch ein Brief an Sibylle, der mit A unterschrieben ist. Ich habe ihn nicht gelesen. Ich habe es nicht mehr wissen wollen. Es hat mich nicht interessiert. Ich war zu … zu müde, innerlich zu tot, um mich ernsthaft damit zu befassen. Ich hatte genug zu tun mit meiner Reha und damit, Gerrit ein akzeptabler Vater zu sein, für regelmäßige Mahlzeiten zu sorgen, die Wäsche zu waschen, ihn zur Schule zu schicken und mit ihm die Hausaufgaben und Schulsorgen zu besprechen.«
    »Aber der Gedanke muss dir doch gekommen sein, dass Achim Sibylles Liebhaber war. A wie Achim. Wie derjenige, der dich im Mordloch ohne Tauchflasche zurückgelassen hat.«
    Hark lächelte verquer. »Ich habe die Verbindung nicht gezogen. Als ob es in meinem Schädel beim Sturz alles in kleine Stückchen zerdeppert hätte, und ich habe den Leim nicht gehabt, um es zu kitten.«
    »Aber Achim ist doch unlängst bei dir aufgetaucht und hat behauptet, er sei Gerrits wahrer Vater!«
    »Woher weißt du das?«
    »Eva hat es mir erzählt. Winnie wusste es. Sie wussten es alle, Hark. Womöglich hat Winnie diesen Achim sogar umgebracht, damit er dich in Ruhe lässt.«
    Hark stöhnte. »Was für eine unsinnige Tat, wenn es so wäre! Ich habe längst einen Vaterschaftstest machen lassen. Ich bin Gerrits Vater. Ich denke, Achim wollte mir nur unter die Nase reiben, dass er und Sibylle schon vor Gerrits Geburt etwas miteinander hatten. All die Jahre. Und ich habe nichts gemerkt.«
    »Warum hat sich Sibylle nicht einfach von dir scheiden lassen, Hark?«
    Er zuckte mit den Achseln. »Sibylle war zwar unzufrieden mit ihrem Leben. Das schon. Aber im Grunde fehlte ihr der Mut zur Veränderung. Sie war … wie soll ich sagen? … ein ängstlicher Mensch. Ja, ängstlich. Die meisten Leute haben sie für extrovertiert und lebenslustig gehalten. Aber in Wahrheit war sie unsicher und hat sich nichts zugetraut. Immer Angst, sich zu blamieren, das Falsche zu sagen. Als ob alle Leute ihr was Böses hätten tun wollen. Deshalb ging sie nie alleine aus. Eine Freundin war immer mit dabei, meistens Janette.«
    »Mit anderen Worten, Achim meinte, er müsste dich umbringen, damit Sibylle dich verlässt.«
    »Schon möglich.«
    Ein kalter Wind rauschte durch die Baumkronen. Da stand er wieder vor mir, der entmannte Beschäler unzähliger Bergmösen, wies mir seine Narben und appellierte an meine archaische Hemmung, einen schon am Boden Liegenden zu beißen. War ich zivilisiert genug, meine Hemmungen zu missachten?
    »Übrigens hatte Sibylle mit Achim im Frühjahr vor ih rem Tod Schluss gemacht«, sagte ich. »Viel spricht da für, dass sie einen ehrlichen Neuanfang mit dir suchte.«
    Hark senkte den Blick auf den Höhlenschlüssel in seiner Hand. »Darf ich … darf ich sie jetzt zumachen?« Ohne meine Antwort abzuwarten, kniete er sich auf den Betonsockel und langte nach dem Schiebegitter.
    Im Betonviereck wulstete Fels. Der Einstieg war eng. Ein modriger Hauch wimmerte herauf.
    »Stopp!«, sagte ich.
    Hark blickte mich an.
    »Hast du das nicht gehört?«
    Er schüttelte den Kopf.
    Ich kniete mich neben ihn und schrie ins Loch: »Hallo, ist da jemand?« Das Echo geisterte kurz durch den Schlund.
    »Da kann niemand sein«, sagte Hark heiser.
    »Aber da! Ein … ein leiser, kurzer Ruf. Hörst du das nicht?«
    Hark war blass geworden. »Wochenlang holt keiner den Schlüssel, und dann zwei Tage hintereinander, hat die Eseleck- Wirtin vorhin gesagt. Aber das kann nicht sein, dass die gestern jemanden da unten vergessen haben. Außerdem habe ich hier zwei Stunden gesessen und nichts gehört.«
    »Vielleicht hat, wer auch immer da unten ist, unsere Stimmen gehört und Hoffnung geschöpft.«
    Hark schluckte.
    »Und jetzt?«, fragte ich. »Die Höhlenrettung?«
    »Nein, ich steige runter.«
    »Dann kannst du es also doch!«
    »Ich habe keine Ahnung, Lisa. Aber ich muss es versuchen. Wer weiß, wie lange der da unten noch durchhält. Außerdem habe ich meine gesamte Bergungsausrüstung dabei.«
    »Aber …«
    »Komm, Lisa.« Er sprang auf. »Wir müssen zum Au to. Du kannst mir helfen.«
    Wir eilten über Stock und Stein. Rauf und runter, am Felsen vorbei, der sich über der Todsburger Höhle türmte.
    »Sollten wir nicht doch lieber die Höhlenrettung alarmieren?«
    »Bevor die hier sind, ist es

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