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Höhlenangst

Höhlenangst

Titel: Höhlenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Kletterwand hinauf.
    »Hallo, Gerrit«, sagte ich.
    Er blickte erschrocken zu mir hoch.
    Ich knetete an einem blöden Tantenlächeln. »Na«, sag te ich, »gehen wir klettern?«
    Der Junge zuckte kurz, fiel dann aber in sich zusam men. »Nein«, murmelte er. »Papa will das nicht.«
    Ich suchte für meinen dicken Hintern einen Sitzplatz auf dem schmalen Betonsims neben Gerrit. Er trug einen Sweater mit Kapuze unter einer Windjacke. Seine Jeans saßen hurtig und seine Füße steckten in riesenhaften Sporttretern. Ein schicker und ausnehmend hübscher Junge, nur arg ernst.
    »Und wo ist dein Papa?«, fragte ich.
    »Er hat was zu besprechen wegen dem Bären.«
    »Ich wusste gar nicht, dass es hier noch Bären gibt.«
    Gerrit schnaubte verächtlich. »Der Bär ist aus dem Zoo, und er ist voll tot. Wir stopfen ihn aus, und dann wird er hier aufgestellt.«
    »Ah so.«
    »Hasen kann ich schon ganz allein ausstopfen.«
    »Ah, interessant! Oder hätte ich ›toll!‹ rufen müssen?«
    Gerrit gönnte mir das Versucherle eines Lächelns. »Eigentlich gruselt’s Sie voll. Alle Frauen gruselt das. Schon das Abziehen.
    Man hängt den Hasen an den Hinterläufen auf und schlitzt ihm den Bauch auf. Das Gedärm fällt heraus und stinkt. Man bricht ihm die Hinterläufe, schneidet die Haut auf und zieht ihm mit einem Ruck das Fell über die Ohren. Dann holt man mit einem Haken das Hirn aus dem Kopf …«
    Ich lachte. »Stimmt. Es ist voll gruselig.«
    Gerrit feixte.
    »Übrigens hast du gestern noch Du zu mir gesagt. Wollen wir nicht dabei bleiben?«
    Gerrit wurde schlagartig ernst. »Du hast mich angelogen gestern.«
    »Wie?«
    »Papa hat doch gekniffen. Steht in der Zeitung.«
    »Dein Vater hat Probleme mit seinem Knie, weißt du.«
    »Quatsch. Er hat voll Schiss!«
    Kinder konnten so grausam sein. »Und wovor?«, erkundigte ich mich.
    »Er muss immer an Mamas Unfall denken. Sie ist un ter ungeklärten Umständen gestorben.«
    »Ah so!«
    »Das sagt die Zeitung so, wenn sie nicht sagen darf, dass es kein Unfall war, sondern Mord.«
    »Du liest aber viel Zeitung.«
    »Papa sagt, die Zeitung lügt.«
    »Manchmal weiß die Zeitung eben auch nicht alles«, gab ich zu bedenken. »Wenn dein Vater zum Beispiel gewusst hätte, dass Julian wirklich in der Mondscheinhöh le steckte, dann wäre er selbst hinuntergestiegen. Er hat aber gedacht, es sei ein falscher Alarm. Und weil ich so lange gebettelt habe, hat er mich hinuntersteigen lassen.«
    Gerrit blickte mich zweifelnd an. »Das heißt fahren. Man steigt nicht, man fährt in eine Höhle.«
    »Aha.«
    Er kratzte sich die Unterarme und wandte den Blick zu Boden.
    »Das mit Julian wäre nicht passiert, wenn ich gewusst hätte, wie man einen Achterknoten macht.«
    Ich gab ein weiteres stupides Wort von mir.
    »Und wenn Papa jetzt mein kaputtes Fahrrad sieht, dann ist er wieder voll traurig, weil ich gar kein Vertrau en habe zu ihm.«
    »Darf man fragen, was eigentlich passiert ist, Gerrit? Oder geht mich das als Erwachsene nichts an?«
    Er deutete ein Lächeln an und rückte stockend damit heraus. Laura, Volker und Julian hatten sich gelangweilt. »Aber in die Höhle kann man nicht rein«, hatte Gerrit betont. Sie hatten ihn dennoch beschwatzt. »Bloß mal gucken!« Laura hatte Florian gesagt, sie wollten bei Volker auf dem Hof spielen, und dann waren sie zur Höhle geradelt. Volker hatte auf einmal ein Seil dabeigehabt und eine Taschenlampe. Gerrit hatte erklärt, mit einer Wäscheleine sei das zu gefährlich. Außerdem habe er nicht mehr so genau gewusst, wie ein Achterknoten ging. Da hatte Volker irgendeinen Knoten gemacht, und dann hatte Julian unbedingt in die Höhle fahren wollen.
    Plötzlich war dann das Seil weg. Abgegangen vom Haken am Höhlenmund. Aber sie hatten Julian noch rufen gehört. Volker hatte vorgeschlagen, dass man die Hosen auszog und aneinander knüpfte, aber das hatte nicht gereicht. Außerdem hatten sie keine Taschenlampe mehr. Da hatte Gerrit vorgeschlagen, nach Hause zu fahren, ein Kletterseil und eine Lampe aus Papas Kletterkiste zu holen. Laura hatte gesagt, dass sie nach Hause müsse, und Volker hatte auch Schiss bekommen, weil sein Vater doch Polizist ist.
    Über Stock und Stein war Gerrit nach Hause geprescht, dann war er über eine Wurzel gefahren und hingefallen. Das Fahrrad war kaputt, aber er hatte gehofft, dass er zu Fuß zur Höhle zurückkehren könne, bevor es dunkel wurde. Papa war in der Werkstatt. Gerrit schlich die Treppe hinauf, holte aus der

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