Höhlenangst
Senioren für einen Marsch. Autotür auf, Autotür zu, Autotür wieder auf, Kofferraum auf, Kofferraum wieder zu.
Richard stellte den Motor aus, langte über die Konso le mit Handbremse und Automatikschaltung zu mir herüber, wartete kurz, ob ich ihm entgegenkam, und küsste mich.
»Glaubst du mir jetzt?« Seine Position war immer klar gewesen, nur meine nicht. »Und deine Freundin Janette, was ist mit der?«
»Was soll mit der sein?«
»Lisa, ich kenne dich doch. Und genau deshalb ist es nicht sinnvoll, dass wir uns immer alles anvertrauen.«
»Bist du deshalb für eine Woche verschwunden?«
Er lächelte leicht. »Immerhin beruhigend, dass du mein Tun und Lassen eins zu eins auf dich beziehst. Das ist eine gute Basis, findest du nicht?«
Ich war verwirrt. »Dann ermittelst du doch?«
»Nein, Lisa. Ich mache Urlaub.«
Mein Handy meldete sich. Es war Janette. Der Kuchen sei fertig, und sie werde jetzt demnächst mit Laura zur Bärenhöhle aufbrechen, um von der mobilen Kletterwand, die sie im Traumland aufgestellt hatten, ein Foto zu machen. Dann müsse sie das morgen nicht tun. Wie es denn mit mir stehe. Wir verabredeten uns für in einer Stunde an der Kletterwand.
»Richard. Kannst du mich nachher an der Bärenhöhle absetzen?«
»Natürlich.« Er griff sofort nach dem Zündschlüssel.
Ich stoppte seine Hand. »Nachher, Richard. Vorher würde ich doch gerne wissen, was eigentlich los ist.«
»Was willst du denn hören?« Er studierte seine Fingernägel an den Händen, die auf dem Lenker lagen. »Ich besuche eine alte Freundin.«
»So weit waren wir schon. Ich weiß auch schon, dass sie Hildegard Obermann heißt und in Hohenstein wohnt, und kann ihr Hundescheiße in den Briefkasten werfen.«
Richard schmunzelte. »Mehr kann ich dir wirklich nicht sagen, Lisa.«
»Na, ins Detail zu gehen brauchst du ja nicht. Sag mir nur, ob ihr oder ob nicht.«
Er strich übers Lenkrad und starrte in die Bäume. »Hast du dir schon mal darüber Gedanken gemacht, Lisa, dass wir unsere politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen inzwischen fast ausnahmslos an Beratungsgesellschaften delegieren?«
»Ich?«
Er blickte mich an. »Wir leben in einer regelrechten Beraterrepublik. Alle möglichen selbsterklärten Berater verfassen für teures Geld Gutachten und machen Vorschläge, von denen die meisten in Aktenordnern verschwinden. Gelesen, gelacht, gelocht.«
Politischer Weltschmerz? Ich war verblüfft. Wegen so was ging er wandern?
»Auch vor dem Verteidigungsministerium haben die Beratergesellschaften nicht Halt gemacht. Da gibt es eine Gesellschaft zur Entwicklung und Verwaltung mit beschränkter Haftung, deren Einsparverheißungen sich der gebeutelte Wehretat nicht entziehen konnte. Und so hat man sie beauftragt, die Liegenschaften und das Material der Bundeswehr zu verwalten. Wirklich erstaunlich, das Vertrauen, das unsere Politiker in privatwirtschaftlich agierende Berater hegen, und das Misstrauen, das sie ih ren eigenen Ministerialbeamten und Fachleuten entgegenbringen. Natürlich hat die GEV ihre Versprechen nicht halten können. Außer im Gutsbezirk Münsingen!«
»Hier sind eben die Enteklemmer am Werk!«
Das fand Richard nicht mal zum Schmunzeln. Er kannte den Unterschied zwischen Sparsamkeit und Geiz nicht. »In der Tat hat die GEV eine hier ansässige Gesellschaft mit der Verwaltung des Gutsbezirks Münsingen beauftragt. Zum Vorteil für alle Seiten. Die Rechenschaftsberichte der GEV weisen für Münsingen deutliche Kostensenkungen auf.«
»Kunststück. Der Trüpl wird ja aufgelöst.«
»Aber die Gebäude stehen noch und müssen gereinigt und instand gehalten werden, ebenso die Fahrwege, die Schranken, Schilder und so weiter. Außerdem handelt es sich um den Zeitraum von Anfang vorigen Jahres drei Jahre zurückgerechnet. Da Einsparungen in dieser Größenordnung eigentlich nur im Personalbereich möglich sind, würde das heißen, dass im Gutsbezirk die Personalausgaben für Zivilangestellte um dreihundert Prozent gesenkt wurden.«
»Sauber!«
»Man hätte in diesen drei Jahren ungefähr tausend Zivilisten entlassen haben müssen. Tatsächlich dürften im Gutsbezirk zu Beginn dieses Zeitraums nicht mehr als rund hundertfünfzig Zivilangestellte gearbeitet haben.«
»Weiß man das nicht genauer?«
»Ich nicht, Lisa. Denn ich ermittle nicht. Ich bin nur rein zufällig vor gut einem Jahr am Rande einer Tagung in Berlin mit einem Ministerialbeamten aus dem Verteidigungsministerium ins Gespräch
Weitere Kostenlose Bücher