Höhlenangst
gekommen, dem die Ungereimtheiten in Münsingen und die Taubheit seiner Vorgesetzten schwer zu schaffen machten. ›Das interessiert niemanden‹, sagte er immer wieder. ›Und wenn die Waffen aus Bundeswehrbeständen nach Afrika verscherbeln, das ist denen da oben völlig egal. Hauptsache, die Bilanzen stimmen.‹«
»Oh!«, entfuhr es mir. »Darf ich raten? Leider hast auch du dich nicht zuständig gefühlt.«
»Ich bin nicht zuständig! Und ich habe genug anderes zu tun. Aber gerade die Geschichten, die man sich nicht sucht, verfolgen einen manchmal. Ende Januar habe ich zufällig Erich Schorstel wiedergetroffen. In der neuen Kunstgalerie in Stuttgart.«
Ich erinnerte mich an diesen Tag, einer meiner schwärzeren. Richard hatte mit mir in den Glaswürfel am Schlossplatz gehen wollen, aus irgendeinem offiziellen Anlass mit Prominenz, und ich hatte mich besonders martialisch herausgeputzt – Lederjacke, Springerstiefel, Nietengürtel, Pistolenhalfter –, woraufhin Richard bemerkte: »Es tut dir keiner was.« Ich hatte erwidert, wenn ich ihm peinlich sei, solle er alleine gehen. Woraufhin er mir vorgeschlagen hatte, einmal darüber nachzudenken, welche Ängste ich hinter meinen Verkleidungen versteckte. Da war ich natürlich ausgerastet. Das war mir in letzter Zeit leider öfter mal passiert.
»Ich fragte Schorstel«, fuhr Richard fort, »was er machen werde nach dem Wechsel des Ministerpräsidenten, und er erzählte mir, dass er bereits eine interessante neue Aufgabe habe. Sorge bereitete ihm allerdings der Kampfmitteleintrag ins Gelände. Kein Mensch schien zu wissen, wie viel das ist und um was es sich handelt. Leider hat die Natra es versäumt, mit dem Land vertraglich zu regeln, wer das Gutachten bezahlt. Das Finanzministerium, dem das Gelände jetzt gehört, sieht jedenfalls keine Veranlassung dazu. Und Schorstel eigentlich auch nicht. Aber er hat schon mal bei der IPE angefragt, wer infrage käme …«
»Dort arbeitet Janettes Mann, Florian.«
Richard sah aus, als wisse er das längst. »Und die haben ihm für eine erste Sichtung der Gefahrenlage den ehemaligen Bundeswehroffizier und erfahrenen Sprengmittelingenieur Achim Haugk vorgeschlagen.«
»Ah!«
»Der hat zwar keine Erfahrung mit Gutachten, aber er kennt eben genau diesen Truppenübungsplatz gut, wenn er auch in den letzten zweieinhalb Jahren seines Beste hens im Auslandseinsatz tätig gewesen war. Haugk konn te Schorstel versichern, dass in Münsingen hauptsächlich Artilleriebeobachtungsradargruppen mit laser- und rechnergestützten Beobachtungs- und Feuerleitsystemen geübt haben. Das heißt, man hat Haubitzengeschosse verwendet. Die wiegen vierzig Kilo und sind gut sichtbar. Beim Studium der Rechenschaftsberichte der GEV –«
»Hilfe!«
»GEV, das ist die Verwaltungsgesellschaft der Bundeswehrliegenschaften.«
»Mit dem Enteklemmer hier in Münsingen.«
»Richtig. Beim Studium der Rechenschaftsberichte ist Schorstel allerdings die kleine Ungereimtheit aufgefallen, von der ich dir schon erzählt habe. In Münsingen musste der Einsparsumme zufolge mehr Personal entlassen worden sein, als jemals dort gearbeitet hat. Als Geschäftsmann mit einem, sagen wir mal, guten Näschen ist Schorstel der Verdacht gekommen, dass Einnahmen, die nicht offen deklariert werden sollen, in Einsparungen umgerechnet worden sind.«
»Was für Einnahmen?«
»Nicht ganz legale, Lisa. Weil nämlich der Vertrag ei ne Klausel enthält, dass die Verwaltungsgesellschaft keine Gewinne aus der Verwertung oder Veräußerung mobilen Eigentums der Bundeswehr ziehen darf.«
Schön gesagt. »Und was könnten die verwertet oder verkauft haben?«
Richard zuckte mit den Schultern. »Das Panzerartilleriebataillon 285 gehörte zum Eurokorps und hat im Rahmen von IFOR, KFOR, ISAF und SFOR …«
Ich stöhnte leidenschaftlich.
»… hundert Soldaten zu Einsätzen ins ehemalige Jugoslawien und nach Afghanistan geschickt. Darunter auch Achim Haugk als Sprengmittelingenieur. Haugk bestätigte Schorstel auf erneute Nachfrage, dass auch verschiedentlich mit Landminen geübt worden sei. Schorstel war alarmiert. Eine einzige liegen gebliebene Landmine wäre nun allerdings eine schwere Hypothek für die Zukunft des Truppenübungsplatzes. Er schrieb umgehend ans Verteidigungsministerium und erhielt ein allgemein gehaltenes Antwortschreiben, dem allerdings ein kopiertes Blatt beilag, das nicht zur Herausgabe bestimmt gewesen sein konnte, sondern in den Umschlag mit hineingerutscht
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