Höhlenangst
Tablett zu den beiden Vierteles. »Und wo ist Karola? Hat sich wohl wieder mal ihre halbe Stun de auf dem Klo genommen.« Sie zwinkerte mir zu und zog mit dem Tablett ab, machte einen Schlenker durchs Separee, in dem die Prominenz Platz genommen hatte, und kam zurück. »Der andere heißt Ivan.«
»Ivan?«
»Sie duzen sich, Schätzle, es sind keine Nachnamen gefallen. Aber Ivan isch von der Alb ra und will a Woize!« Sie nahm ein Weizenglas, schwenkte es unter dem Wasserhahn aus und setzte die Flasche am Glasrand an, damit das Bier unter den Schaum schleichen konnte. Zum Schluss schwenkte sie die Neige in der Flasche und ließ den Restschaum auf die Krone kacken.
»Doch nicht etwa Ivan Räffle?«, überlegte ich. »Und auch noch privat!«
»Darf er das nicht, Lisa?«
Als sich einer der Bodyguards aufs Klo begab, bestell te ich bei Sally ein Kännchen Milch. »Kannst mir meinetwegen auch einen Kaffee dazu hinstellen.«
»Keine großen Auftritte hier im Tauben Spitz!«, warn te sie mich. »Das würde dem Chef gar nicht gefallen.«
Da erhob sich auch schon der Königsmörder und durchquerte das Lokal, begleitet von ersterbenden Gesprächen und knackenden Wendehälsen. Hinter ihm schäumte Geflüster auf, obgleich die Stuttgarter doch so gern wie andere Großstädter auf Prominenz gar nicht reagiert hätten.
Sally stellte mir den Kaffee auf den Tresen und das Kännchen Milch. »Bitte sehr, der Herr!«
Der MP verschwand um die Ecke, an der sich der Bo dyguard postiert hatte und mit seiner Sonnenbrille seelenlos die Strippen der Kupferlampen musterte, die tief über den Tischen hingen.
Ich goss mir die Milch über die Hose. »Verdammt!« Und sprang vom Barhocker.
»Das gibt einen Fettfleck«, sekundierte mir Sally. »Das musst du auswaschen, mit Seife.«
Auf dem Klo!
Ich eilte in die Arme des Bodyguards.
»Schauen Sie sich das an! Ich bin auch ein Trottel! Das ganze Milchkännchen. Immer passiert mir so was, wenn ich gerade mal gute Karten habe …« Ich schmierte ein Lächeln in Richtung meiner blond gelockten Barda me und durfte passieren.
Der Königsmörder wusch sich bereits die Hände.
Ich trat ans Waschbecken, raffte Papier aus dem Spen der und drückte Seife darauf, »’n Abend«, sagte ich, oh ne den Herrn anzublicken. »Ein Tipp, Herr Ministerpräsident, der Unternehmer, mit dem Sie da sitzen, wird über kurz oder lang wegen Bestechung, illegalen Waffenhandels und möglicherweise sogar Mordes in Schwierigkeiten kommen. Ein gewisser Kommissar Abele von der Polizeidirektion Reutlingen hat bereits den Stuttgarter Oberstaatsanwalt Weber verhaftet.«
Der Königsmörder war klug und sagte nichts.
Aber als ich mit nassem Hosenbein die Toilette ver ließ, waren die Bodyguards und ihr Schützling schon zur Tür hinaus, und Ivan Räffle und seine Frau blickten etwas verdutzt drein.
35
Während ich gegen ein Uhr morgens die Spams aus meinem E-Mailkasten räumte, traf Wagners Sendung ein. Sie enthielt Florians E-Mail-Dateien, sein Adressbuch, seine Favoriten und den Verlauf seiner Internetaktivitäten seit dreiundzwanzig Tagen. Ich schaute hier und da und dort. Die Mustererkennung funktionierte besser, wenn sich das Bewusstsein nicht allzu angestrengt einmischte. Zu seinen Favoriten gehörten die Unwetterzentrale, Outdoor-Shops, Fahrradhändler, Buchversand und Börsenkurse. In seinem Adressbuch steckten hunderte von Namen und Nummern von Personalchefs und Angestellten mittlerer und großer Firmen über ganz Deutschland verteilt. Im Internet hatte er am häufigsten Sexseiten mit Schwarzen und Musik- und Filmseiten besucht. Nach zwanzig Minuten fiel mir auf, dass im Verlauf der angesteuerten Seiten einige Banken auftauchten. In Florians Finanzamtsordner hatte ich jedoch nur Kontoauszüge der LBBW gesehen. Entweder hatte Florian noch nichts vom Nemo-tenetur-Grundsatz gehört und seine illegalen Einnahmen nicht angegeben, oder Richard hatte auf seiner Schatzkarte doch den Weg von Geld zurückverfolgt, das an ihn gegangen war. Ein Meister der Finanzrecherche. Dann war er nicht erpresst, sondern bestochen worden, und zwar von Florian.
Absurd!
Und doch! Warum sonst hätte Richard mir verboten, mit Janette und Florian über das zu reden, was er mir erzählt hatte, und zwar über den Trüpl, über Gutachten und Gutachter, Privatisierungsgesellschaften und als Personaleinsparungen umdeklarierte Einnahmen. Nur, dass ich genau darüber zuvor schon mit Janette geredet hatte.
Und nun hatte Abele ihn am
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