Höhlenwelt-Saga 02 - Leandras Schwur
zu kommen.« Sie grinste.
»Du hast ihm nicht alles gesagt, was?«
Mit verschwörerischer Miene schüttelte sie den Kopf. »Nein. Natürlich nicht. Sonst könnten sie mich ja wieder nach Hause schicken.«
Victor verzog das Gesicht. »Ich fürchte, da käme Schlimmeres auf dich zu.«
Sie nickte wieder. »Ja, ich weiß. Deswegen hab ich ja auch darauf geachtet, mich nicht so leicht ersetzbar zu machen.«
»Du bist eine durchtriebene kleine Göre!«, stellte Victor wohlwollend fest. »So etwas traut man dir gar nicht zu!«
Sie grinste wieder.
Im nächsten Augenblick war ein Klopfen an der Tür zu vernehmen. Es war eher zaghaft und leise, und Victors Befürchtung, dieser Piamos könne wieder auftauchen, zerstreute sich rasch.
»Ja?«, rief er.
Die Tür öffnete sich und Martiel sah herein. »Wo steckt denn Roya ...?«
Victor stand auf. »Kümmere du dich um deine Bücher und Schriftrollen - ich kümmere mich um Roya, verstanden? Und nun zisch ab. Wir sehen uns heute Abend, bei der Besprechung!«
Victor wusste, dass Martiel ziemlich hinter Roya her war, und wollte ihm früh genug Einhalt gebieten. Martiel indes warf ihm einen säuerlichen Blick zu. »Du wirst von Tag zu Tag tyrannischer!«, beschwerte er sich. »Was soll das? Es hieß doch, sie soll Ergebnisse direkt an Quendras übermitteln, wenn wir was gefunden haben!«
Victor zog überrascht die Brauen in die Höhe und hob dann entschuldigend die Handflächen. »Tut mir Leid. Aber ... was ist denn? Habt ihr etwas entdeckt?«
Dies ist eine alte Landkarte von Westakrania!«, sagte Chet, einer von Victors Leuten. Er hatte eine große, uralte Rolle auf einem Tisch ausgebreitet. In filigraner Federschrift waren unzählige Eintragungen darauf verzeichnet. Die Karte wirkte altertümlich und sehr kostbar. Das Kerzenlicht, das von einem schweren, gusseisernen Schwebeleuchter auf den Tisch herabfiel, um den sich an die zehn Leute versammelten hatten, tauchte die Szene in das geheimnisvolle Licht einer Verschwörung, die in einem tiefen, verborgenen Keller abgehalten wurde. In der Tat befand man sich tief unter der Basilika - in Kellern, die selbst damals, als die Cambrier hier noch wirkten, nicht oft betreten worden sein dürften.
Victor betrachtete die Karte mit sachkundigen Blicken. »Die Umrisse des Landes stimmen gar nicht«, bemerkte er.
»Doch, das ist Westakrania«, warf Yannir ein. »Die Karte dürfte mehr als zweitausend Jahre alt sein, und damals war man mit der Landvermessung noch nicht so weit. Hier, sieh nur! Das da ist Soligor, dort drüben liegt das Ramakorum und hier ist der Mogellsee.«
Victor nickte. Die Lage der Orte stimmte, obwohl er die Schrift nicht entziffern konnte. »Die Karte ist ziemlich gut erhalten - für dieses Alter«, stellte er fest.
»Das sind alle Bücher hier«, erwiderte Yannir und machte eine Geste, die die gesamte Basilika mit einschloss. »Mit Magie. Ein Steckenpferd der Cambrier, wie es scheint.«
»Was ist das für eine Sprache?«, fragte Victor und deutete auf die zahllosen kleinen Eintragungen. »Alt-Akranisch?«
»Eine noch frühere Form«, meldete sich Gerrold, ein Spezialist für Schriften und Sprachen. »Wir nennen sie heute Paskript, der Vorläufer der Veldoorer Federschrift. Veldoor war vor langer Zeit einmal der Nabel der Welt. Akrania wurde von dort aus besiedelt, vor ungefähr ... dreitausendfünfhundert Jahren.«
Victor blickte auf und musterte den rundlichen Gerrold. Er war jung, mit tomatenroten Wangen und einer Haut wie ein Säugling. Aber sein fast noch kindliches Aussehen täuschte. Er verfügte über ein fundiertes Wissen.
»Hast du es entziffern können?«
Gerrold nickte. Sein unsicherer Seitenblick fiel auf Roya. Er wollte ihr gefallen. Jeder wollte ihr gefallen. »Es ist
mühselig«, sagte er. »Aber ich habe etliches übersetzen können. Demnach muss die Karte kurz nach dem Ende des Dunklen Zeitalters angefertigt worden sein. Hier, hier und hier: Das sind Eintragungen mit Jahreszahlen.«
»Mit Jahreszahlen?«
»Richtig. Damals hatte sich der Rat der Gilde dazu entschlossen, den Beginn des Dunklen Zeitalters mit einer neuen Zeitrechnung gleichzusetzen. Das geschah nicht, weil man glaubte, man müsse irgendwie an diese Zeit erinnern. Er war, weil man zuvor keine einheitliche Zeitrechnung besaß. In verschiedenen Ländern gab es verschiedene Jahreszahlen. Die einen rechneten nach den Geburtsdaten bestimmter Volkshelden, andere nach den Auffassungen ihrer Forscher, wann die Menschen mit der
Weitere Kostenlose Bücher