Höhlenwelt-Saga 02 - Leandras Schwur
Möglicherweise hatten die Cambrier ihre eigenen Aufzeichnungen geführt. Azrani und Marina, die einen unterirdischen Zugang zu diesem verbotenen Bereich entdeckt hatten, waren jedenfalls in den Besitz dieses Schatzes gekommen, und das gab den Plänen der Aufständischen eine entscheidende Wende.
So wie Leandra diese Sache einschätzte, hatte man niemals die gesamten Höhlen erforscht, oder besser: erforschen können. Sie waren einfach viel zu verzweigt. Aber möglicherweise waren ihre Karten die genauesten Aufzeichnungen, die es überhaupt über die Höhlen gab, und sie verfügten nun über bessere Kenntnisse als Chasts Leute.
Sie hatten sich dazu entschieden, einen alten, vermauerten Zugang in einem Brunnenhaus ganz in der Nähe des Roten Ochsen aufzubrechen. Das hatte einige Zeit, ein Dutzend kräftiger Männer und ebensolche Werkzeuge erfordert, denn die Mauer war mehrere Ellen dick und so gut versteckt, dass man sie trotz Karte zuerst gar nicht bestimmen konnte. Das erklärte auch, dass man sie so lange Zeit nicht entdeckt hatte. Zum Glück erwiesen sich die Karten als zuverlässig.
Man hätte an einigen anderen Stellen, zum Beispiel durch die Savalgorer Kanäle, einfachere Zugänge benutzen können - doch dieses Aufgebot an Männern, die sich nun gegen Torgard erheben wollten, dort unauffällig hindurchzuschleusen, war nicht möglich. Jedenfalls nicht, ohne dem Gegner den Plan allzu früh offen zu legen. Ein paar Stunden Vorsprung waren unbedingt notwendig, bevor die Duuma oder die Bruderschaft erfuhren, was in den Katakomben vor sich ging. Bis dahin wollte Leandra, wenn irgend möglich, Alina längst befreit haben.
Sie hatten insbesondere die Karten von Torgard eingehend studiert und waren zu der Auffassung gelangt, dass es dort gute Gelegenheiten geben musste, um weit vorstoßen zu können, ohne bemerkt zu werden. Torgard war anscheinend ein wahres Labyrinth von unzähligen Gängen, Tunneln und Verzweigungen - kaum anzunehmen, dass dort an jeder Ecke ein Wächter stand. Dazu hätte es Aberhunderte von Leuten gebraucht. Dort angekommen, mussten sie sich irgendeinen einfachen Soldaten schnappen, ihn ausquetschen, wo sich Alina aufhalten könnte, und dann ...
Nun, zum Glück war heute Derin nicht dabei. Leandra war sicher, dass es ausreichen würde, einen auf diese Weise verhörten Mann zu fesseln und zu knebeln, ohne ihn gleich töten zu müssen.
Insgeheim hoffte sie, dass sie Chast gar nicht begegnen würde. Vielleicht gelang es ihnen, mit Alina zu verschwinden, den Anspruch auf den Shabibsthron durchzusetzen und der Bruderschaft auf diese Weise so sehr den Boden unter den Füßen wegzuziehen, dass ihre Mitglieder aufgeben und fliehen mussten. Aber das war ein frommer Wunsch. Chast würde sich auf diese Weise niemals geschlagen geben - eines Tages, das war sicher, würden sie sich wieder begegnen. Wenn doch nur Munuel bei ihr wäre! Munuel hatte Chast bis zuletzt widerstanden - er war der Einzige, dem Leandra zutraute, ihn im offenen Kampf besiegen zu können. Jockum und Meister Fujima waren sicher mächtige Magier, so stark wie Munuel aber waren sie bestimmt nicht.
Sie riss sich von diesen Gedanken los und konzentrierte sich wieder auf ihre Karte.
Leandras Gruppe bestand mit ihr zusammen aus sechs Personen. Der Primas war nun doch nicht mit ihnen gekommen; er war alt und fürchtete, nicht genügend Kräfte zu besitzen, um den anstrengenden Marsch durch die Katakomben meistern zu können. Er hätte dabei schließlich auch noch jederzeit für einen schweren Kampf bereit sein müssen. Neben Meister Fujima wurde Leandras Gruppe noch von Gildenmeister Xarbas und Meisterin Gablina begleitet. Jockum hatte ihr versichert, dass diese beiden über beachtliche Kräfte verfügten; beide, sagte er, hätten schon Magien der neunten Stufe gewirkt, und Gablina traute er sogar eine zehnte zu.
Leandra hatte einen anerkennenden Pfiff ausgestoßen. Eine neunte Iterationsstufe bedeutete eine magische Gewalt in der Größenordnung, einen ausgewachsenen Orkan besänftigen zu können oder einen ganzen Waldbrand zu ersticken. So etwas war immer um vieles schwieriger als das Gegenteil - eine Katastrophe hervorzurufen. Was hingegen eine zehnte Iteration bewirken mochte, konnte sie sich gar nicht mehr vorstellen. Nach den Lehren der Elementarmagie bedeutete eine zehnte Iteration nicht ein bisschen mehr als eine neunte, sondern eine glatte Verdoppelung der fließenden magischen Energien. Dass jemals von einem Magier der Gilde
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