Höhlenwelt-Saga 1 - Die Bruderschaft von Yoor
er und hob einen mahnenden Finger. »Und achte auch auf deine Zunge, wenn du singst, mein Freund. Ich muss jetzt gehen. Vielleicht sehen wir uns einmal wieder.«
Er hob die Hand zu einem Gruß, wandte sich um und hatte gleich darauf das Gasthaus verlassen.
Victor saß noch lange an seinem Tisch und überlegte, was er tun sollte. Der Abend hatte recht vielversprechend begonnen, aber jetzt war er verpatzt. Vielleicht sollte er Leandra fragen, was das für eine seltsame Vorstellung mit Jacko gewesen war. Das hätte er doch zu gerne gewusst. Womöglich war es tatsächlich nur die Masche eines jungen Mädchens, einen erfahrenen Mann wie Jacko auf sich aufmerksam machen zu wollen.
Dann forderten ihn einige Leute auf, noch mehr zu singen, und plötzlich verspürte er wieder Lust dazu - das würde ihn davon ablenken, dauernd an sie zu denken. Er nahm die Leier und setzte sich wieder auf die Kiste.
Mehrere Leute verlangten, er solle die Ballade vom Räuberhauptmann noch einmal singen, aber Victor weigerte sich; er sagte, er habe den Text aus dem Stegreif gesungen und wüsste nun nicht mehr, wie er ginge. Dann nahm er das Heft selbst in die Hand und begann seine Ode an den Drachentöter, ein sehr melancholisches Lied, das die Zuhörer immer sehr angerührt hatte. Innerhalb der nächsten Stunde holte er so manches aus seinem alten Repertoire hervor und freute sich selber daran, dass er wieder Spaß am Singen hatte. In den Tagen nach seiner Gefangenschaft in Tulanbaar hätte er schwören mögen, dass er nie wieder ein Instrument in die Hand nehmen würde.
Mehrfach ging der Hut herum, und später hatte sich ein hübsches Sümmchen angesammelt. Es waren mehr als vierzehn Folint, ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Leute hier nicht zu den Ärmsten zählten. Schade, dass Leandra seinen Erfolg nicht miterlebte und auch die Tatsache, dass sie Recht behalten hatte - mindestens die Hälfte der Gäste gehörte zu irgendeiner Bande. Niemand sonst hätte ihn so reichlich für seine Sangeskünste entlohnen können.
Dann saß Victor alleine an seinem Tisch und trank das vierte oder fünfte Bier, das ihm spendiert worden war. Er spürte den Alkohol schon gut, war aber noch einigermaßen klar im Kopf. Er blickte hinüber in die dunkle Ecke, in der Jacko gesessen hatte und die den Rest des Abends leer geblieben war, obwohl man den Sitzplatz sicher hätte gebrauchen können. Der Mann war ein Kämpfer gewesen, das hatte man schon an seinem Schwert erkennen können. Ein Kämpfer und Anführer.
»Na, alter Bänkelsänger?«, sagte jemand.
Victor drehte sich um, und einer von den Männern, die schon den ganzen Abend da waren, stand neben ihm.
»Was dagegen, wenn ich mich setze?«
Victor schüttelte den Kopf. »Im Gegenteil, Nachbar. Setz dich nur!«
Er war ein älterer Mann, ein altgedienter Haudegen mit allerlei Narben im Gesicht und einem rotbraunen Haarschopf. Seine freundliche, aber schwere Stimme besaß den Bass eines Nebelhorns. Victor dachte, dass der erste Maat eines Piratenschiffes ungefähr so aussehen musste.
Er setzte sich mit einem Ächzen auf Leandras Stuhl. »Ein verdammt hübsches Mädchen, das du dabei hast«, sagte er.
Victor lachte auf. »Ich habe sie nicht dabei. Sie hat mich dabei!«
Der alte Pirat ließ ein Lachen hören, das klang, als dringe es aus einer tiefen dunklen Schlucht herauf. Er lachte noch ein bisschen und winkte ab. »Mach dir nichts draus, Kamerad. Mit den Weibern ist es immer das Gleiche.
Man denkt, man hat sie im Sack, und die Wahrheit ist, dass man plötzlich nichts mehr zu melden hat.«
Victor nickte vielsagend. Er nahm seinen Krug und trank einen tiefen Schluck. So wie sich Leandra vorhin gezeigt hatte, lag sein Gesprächspartner nicht einmal sehr daneben. Er seufzte, setzte seinen Krug ab und sah dem Mann nachdenklich in die Augen. »Sag mal, Kumpel ...«
»Harro! Nenn mich Harro!«, meinte der Alte.
»Also gut... Harro! Wer war dieser Bursche, der dort drüben an diesem Tisch saß?«
Harros Gesichtsausdruck wurde ein wenig starr. »Du meinst Jacko? Du hast doch mit ihm geredet!«
»Natürlich. Hat ja jeder gesehen. Aber ich kann mir keinen Reim auf ihn machen. Ist er euer Anführer? Warum hat sich den ganzen Abend niemand an diesen Platz gesetzt? Es gab genug Leute, die stehen mussten.« »Vergiss es, Junge. Über Jacko redet man nicht.« »So? Und was ist, wenn ich doch über ihn reden will?« Harro senkte den Kopf ein wenig und blickte ihn finster an. »Dann kriegst du Ärger,
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