Höhlenwelt-Saga 1 - Die Bruderschaft von Yoor
Meakeiok teilte Munuel mit, sie würden sich für die Nacht von ihnen trennen, da sie an den Felspfeilern zu schlafen pflegten. Dann breitete er seine gewaltigen Schwingen aus und flog davon. Er gesellte sich zu seinen Artgenossen und gemeinsam steuerten sie auf die senkrechte Felswand eines nahen Pfeilers zu, dessen Flanke in den letzten rötlichen Sonnenstrahlen lag.
Es war das erste Mal, dass Leandra etwas von der erstaunlichen Art und Weise mitbekam, wie Drachen - oder jedenfalls Felsdrachen - zu schlafen pflegten. Zuerst sah sie es gar nicht richtig, denn das Hauptmerkmal des Drachenschlafs lag wohl darin, unsichtbar zu sein. Dann, als die Tiere, die in einer halben Meile Entfernung vor der Steilwand kreisten, immer weniger zu werden schienen, kletterte sie auf einen höher gelegenen Punkt und blickte zu den Drachen hinüber. Sie erkannte mit Mühe einige Tiere, die sich im senkrechten Fels festgeklammert hatten, ihre Schwingen ausbreiteten und kurz darauf schon beinahe völlig verschwunden waren.
Die Drachen schienen sich vollkommen an den blanken Felsen des Stützpfeilers zu schmiegen; sie drückten ihre Leiber und die Schwingen so eng an den Felsen heran, dass sie nach kurzer Zeit schon mit ihm zu einer grauen Fläche verschmolzen. Es war beinahe, als hätten sie sich dort festgesaugt.
Dann war der letzte Rest des Tageslichts verschwunden, und langsam fiel das spärliche Licht der Sterne durch die Sonnenfenster herein. Die Drachen jedoch waren gänzlich unsichtbar geworden.
Man unterhielt sich leise flüsternd über dieses seltsame Phänomen und über die erstaunlichen Erlebnisse des Tages. Sie waren sich einig, dass die Reise auf den Rücken der Drachen zu den Höhepunkten im Leben jedes Einzelnen von ihnen zählte. Und diese Reise war wohl auch so etwas wie ein historisches Ereignis, denn sicher hatte so etwas seit sehr, sehr langer Zeit nicht mehr stattgefunden. Womöglich war dies der Beginn einer neuen Ära in der Beziehung zwischen den Drachen und den Menschen der Höhlenwelt.
In einer Vertiefung hatten sie ein winziges Feuer entzündet, das Tharlas mit einem schwachen lokalen Zauber belegte, sodass es aus einer Entfernung von einigen Dutzend Schritten kaum noch auszumachen war. Dann wickelten sie sich in ihre Decken. Es war recht kühl geworden, und ein leichter Wind wehte, der ihnen aber nichts mehr ausmachte, denn sie waren den ganzen Tag über einem wesentlich stärkeren Wind ausgesetzt gewesen.
33 ♦ Wasserwelt
D er Morgen kam mit einem leichten Regen, dem sie auf dem Plateau schutzlos ausgesetzt waren. Es blieb kühl, und die Aussicht auf den schneidenden Wind des Fluges in feuchter Kleidung hielt die Laune der sechs Menschen in Grenzen.
Den Drachen machte das Wetter erwartungsgemäß überhaupt nichts aus. Als es langsam hell wurde, lösten sich die ersten von ihnen aus ihren Nachtlagern und schwebten in die Ebene hinab, zweifellos abermals zur Futtersuche. Es war das erste Mal, dass die Drachensippe eine Tätigkeit nicht in großer Gemeinsamkeit erledigte.
Einige Tiere blieben auf ihrem Schlafplatz, bis es vollständig hell geworden war, und Leandra bemerkte, dass sich die ältesten Drachen zuletzt auf Futtersuche begaben. Vielleicht war das lange Schlafen ihr besonderes Privileg.
Selbst bei Helligkeit waren ihre an die Felsen geschmiegten Körper nur schwer zu erkennen; die meisten waren überhaupt nicht auszumachen. Schließlich waren aber alle Drachen in der Luft oder bereits irgendwo in den Wäldern verschwunden. Zuerst sorgte sich Leandra, dass sie vielleicht in die Fänge irgendeines bösen Wesens geraten könnten, dann aber machte sie sich klar, dass die Drachen selbst magiebegabt waren und sicher jede Gefahr von weitem erspüren konnten. Außerdem waren es große, starke Tiere, die sicher keine Probleme mit einem wild gewordenen Murgo oder einem Bären haben würden.
Sie fröstelte, als Munuel und Victor zu ihr traten.
Victor hatte eine Decke dabei, die er ihr um die Schultern legte, und sie nickte ihm dankbar zu. Zurück blieb ein leicht mulmiges Gefühl, dass sich in seinem Kopf wohl gerade irgendetwas zusammenbraute. Sie hingegen war dabei, sich innerlich auf den Kampf vorzubereiten, den Kampf gegen alles, was die Bruderschaft von Yoor gegen sie und ihre Gefährten ins Feld führen mochte - und das war mit ziemlicher Sicherheit viel.
Sie tastete nach ihrer Schulterwunde, die eigentlich schon gar nicht mehr vorhanden war. Manchmal meldete sich die Stelle noch mit einem
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