Höhlenwelt-Saga 1 - Die Bruderschaft von Yoor
nickte und schluckte einen Bissen herunter. »Ja. Es scheint so, als wäre das Trivocum im Mogellwald noch immer so unstabil, dass von Zeit zu Zeit starke Kräfte herüberschlüpfen können. Ich habe schon mehrere solcher Knoten entdeckt. Eine Reise durch den Wald wäre wahrscheinlich noch um einiges unangenehmer geworden, als wir es uns ausgemalt hatten.«
Leandra, die nach diesem unvorbereiteten Kontakt mit der anderen Seite einen schwachen Anflug jener seelischen Erschöpfung fühlte, gab sich wieder dem Impuls hin, sich an Victor zu schmiegen, der einen Arm noch immer in ihre Richtung ausgestreckt hielt. Sie verdrängte den Gedanken, Victor könne falsche Schlüsse daraus ziehen. Unwillkürlich suchte sie in diesem Augenblick nach Jacko. Er saß ein Stück entfernt neben Hennor und sprach angeregt mit Tharlas.
Sie schnaufte und suchte dann verwirrt nach Worten. »Aber ... Dämonen! Hier, mitten im Wald! Ist das nicht gefährlich?«
Munuel lächelte ob ihrer unschuldigen Bemerkung und schüttelte den Kopf. »Nein, nicht wirklich. Es verhält sich wie bei allen anderen Dämonen, die gewissermaßen auf natürlichem Weg ins Diesseits kommen. Sie sind fast immer an den Ort gebunden, an dem sie erschienen sind, denn nur dort fließen die Energien, die sie brauchen, um am Leben zu bleiben. Es sind in den allermeisten Fällen auch nur Dämonen allerniederster Ordnung - wenig komplexe Erscheinungsformen und nur gefährlich, wenn man ihnen zu nahe kommt.«
»Und andere Dämonen?«, fragte Victor. »So wie der, den wir in der Schmiede trafen? Wie können sich solche dann bewegen?«
»Sie wurden herbeigerufen«, erklärte Munuel. »Willentlich und durch Magier, die sich die erforderlichen Fähigkeiten angeeignet haben, um einen solchen Knoten im Diesseits zu stabilisieren. Solche Dämonen sind mit stygischen Energien aufgeladen, deshalb können sie sich auch bewegen. Sie verzehren sich gewissermaßen selbst. Nach einer Weile haben sie keine Kraft mehr und verschwinden wieder.«
Leandra löste sich von Victor, der sie offenbar nur ungern losließ.
»Und wie lange dauert es, bis ein Dämon seine Energie aufgezehrt hat?«, fragte Victor.
»Nun, das kann schnell gehen«, sagte Munuel. »Ein, zwei Stunden manchmal, andere können für Tage stabil bleiben. Es kommt ganz auf die Methode der Herbeirufung an.«
»Aber dann können sie eigentlich gar nicht so gefährlich sein, oder? Wenn sie so schnell wieder verschwinden?«
»Ha!«, rief Munuel und hob eine Hand. »Da vergisst du das Wesentliche! Mancher Dämon hat sich für Monate im Diesseits gehalten! Ihr Verlangen nach Energie ist es ja, was sie so gefährlich macht! Während sie sich im Diesseits aufhalten, kennen sie keinen größeren Trieb, als zu vernichten und zu zerstören! Mit jedem Stückchen Diesseits, das sie ankratzen können, setzen sie stygische Energien frei, die sie begierig in sich aufsaugen. Gerade in einem solchen Wald«, und damit wies er mit einer weiten Geste über das Meer der Baumwipfel unter ihnen, »könnte sich ein Dämon womöglich jahrelang halten! Ein Wald ist voller Leben, Ordnung und natürlich gewachsener Strukturen. Er fände pausenlos etwas, das er zerstören könnte. Und ständig wächst etwas nach!« Er machte eine nachdenkliche Pause und blickte hinab. »Das ist auch der Grund dafür«, sagte er dann, »warum der Mogellwald noch immer unter dem Einfluss des Bösen steht. Er bietet zu viel Nahrung.«
Leandra und Victor blickten ebenfalls hinab, und ein seltsames Gefühl der Trauer überkam Leandra. Für sie war ein Wald nie etwas anderes als ein beschützender Ort mit der urwüchsigen Kraft der Natur gewesen - dass er zu einem Hort des Bösen werden konnte betrübte sie.
Kurz bevor das Sonnenlicht völlig erlosch, kehrten die Drachen zurück.
Sie kamen einer nach dem anderen aus unterschiedlichen Richtungen und kreisten über dem Tafelberg. Offenbar waren sie dem Ruf ihres Ältesten gefolgt. Zwischen der Ankunft des ersten und des letzten Drachen lag nur wenig mehr als eine Minute. Die Drachensippe schien sehr diszipliniert zu sein, offenbar lag das in der Natur der Tiere. Dann sank einer der Drachen herab - es war Meakeiok - und landete.
Leandra war nicht schlecht erstaunt, als sie sah, dass die schwarzen Augen des Drachen in der Dunkelheit leicht grünlich glühten. Munuel erklärte ihr, dass Drachen in der Nacht ziemlich gut sehen konnten und dass der Schimmer ihrer Augen nach Auffassung der Gildenmagier damit zusammenhing.
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