Höhlenwelt-Saga 1 - Die Bruderschaft von Yoor
Schüler.
»Hole Holz!«, rief er ihm zu. »Viel Holz - und mach ein großes Feuer! Die Dame friert!«
Der Schüler machte eine unterwürfige Verbeugung und verschwand. Er sah wieder nach dem Mädchen.
Vermutlich ahnte sie, dass er mit reiner Willenskraft den gesamten Raum innerhalb von einer Sekunde auf die Temperatur eines Dampfbades hätte bringen können. Aber genau das war sein Stil - man sollte seine Macht nur spüren und fürchten, zu sehen bekam man sie nie.
Er erhob sich und durchquerte mit weiten Schritten den düsteren Raum. Die Vorhänge waren fast völlig zugezogen. Er war kein Freund großer Helligkeit. Die Düsternis war ein Refugium, das seiner Kontrolle unterlag -Licht hingegen irritierte und verunsicherte ihn.
Dann war er bei ihr. Der Sessel, auf dem sie saß, stand mitten im Raum auf einem weiten, dunkel gekachelten, runden Fußboden, der in einen Holzboden überging, eine Stufe höher liegend. An den Wänden befanden sich himmelhohe Regale voller Bücher, und auf ihnen lag der Staub von Jahrhunderten.
Das Szenario lag ihm vollkommen. Das Mädchen hingegen war sehr verunsichert. Sie saß steif auf der vordersten Kante des Sessels, mit geradem Rücken und geschlossenen Schenkeln. Sie starrte zu Boden. Er umkreiste sie, erhaschte einen Hauch des Duftes, den man ihr gereicht hatte. Auf ihre Weise war sie perfekt.
Sie sah angstvoll zu ihm auf. »Was ... was wollt Ihr von mir? Ich habe nichts. Ich kann Euch nichts geben.« Ihre Stimme war von einer Reinheit und Zartheit, die sogar ihn beeindruckte. Wiewohl er nichts für sie empfand, verspürte er einen wachsenden Stolz, dass sie ihm gehörte. Ihm ganz allein.
Er zog eine Augenbraue hoch. »O doch, mein Kind. Du wirst mir mehr geben können, als du ahnst.«
»Wann kann ich wieder fort von hier...? Nach Hause?«
Er verspürte einen ungeheuren Kitzel in sich aufsteigen. Er hätte ihr sagen können, dass sie ihn nie mehr verlassen würde, aber das hätte sie vielleicht dazu veranlasst aufzugeben. Nein, es musste immer noch ein Funken Hoffnung da sein, etwas, das einen am Leben erhielt - wenn auch das Schicksal furchtbar war.
»Es kommt ganz darauf an, wie gut wir... zusammenarbeiten, mein Kind. Vielleicht schon bald?«
Ein schwaches Lächeln huschte über ihr Gesicht, ein unverkennbarer Moment der Hoffnung. Er beglückwünschte sich dazu, ein so gewiefter Meister des Schicksals zu sein. Dieser Moment mochte ihm Tür und Tor geöffnet haben.
»Wer seid Ihr?«, fragte sie mit ihrer zarten Stimme. »Und wie ist Euer Name?«
Er stellte sich vor sie hin und richtete sich auf. Er streckte ihr galant die Hand entgegen, sie griff unwillkürlich danach und stand auf. Es war wie eine Aufforderung zum Tanz.
»Ich bin dein Schicksal, meine Schöne«, sagte er. »Und mein Name ist Chast.«
Eines musste man Azrani lassen: Der Junge, in den sie sich verknallt hatte, war tatsächlich noch der netteste der vier. Aber das wollte nicht viel heißen. Die anderen drei empfand sie als absolut unerträglich.
Es war die Sorte von Männern, die ständig zu laut lachten und ständig zu gut gelaunt waren; die Sorte, die mit dem Unterleib dachte, deren Einfühlungsvermögen irgendwo im Bizeps lag und deren Phantasie sich darauf beschränkte zu überlegen, wo man sich morgen Abend besaufen sollte. Dass sie die Freunde von Azranis Angebetetem waren, warf kein gutes Licht auf ihn.
Azrani flüsterte schon die ganze Zeit mit ihm und bekam gar nicht mit, wie schlecht es Leandra ging. Sie wusste nicht, was sie machen sollte. Einen von den Kerlen um Hilfe zu bitten oder gar mit ihm anzubändeln ging eindeutig über ihre Kräfte. Sie empfand die Kerle als großkotzig, arrogant und dumm - dabei wusste sie nicht einmal, ob sie es wirklich waren.
Eine grauenvolle Viertelstunde blieb sie am Tisch, dann hielt sie es nicht mehr aus. »Tut mir Leid, Jungs«, sagte sie lächelnd. »Mein Boss schaut mich schon dauernd schief an. Nicht mehr als ein Mädchen pro Tisch, wisst ihr?«
Überlaute Töne des Bedauerns begleiteten ihren Abgang, und Azrani sah sie entsetzt an. Leandra warf ihr einen verzweifelten Blick zu, dann lief sie durch das Getümmel in Richtung des Klosetts, warf die Tür hinter sich zu und stöhnte auf. Zorn und Abscheu saßen ihr im Nacken, und sie fluchte verbissen gegen die Wand. Dieses dämliche Weibsstück von Azrani! Wegen diesen idiotischen Kerlen hielt jetzt Hellami ihren nackten Hintern hin! Warum zum Teufel musste sich das Mädchen ausgerechnet diese vier
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