Höhlenwelt-Saga 1 - Die Bruderschaft von Yoor
setzte sich zu ihr und legte ihr den Arm um die Schulter. Nach einer kurzen Weile lehnte Hellami den Kopf gegen Marinas Schulter. Tränen rollten ihr die Wange herab.
Leandra kam sich vor wie ein Dreckstück. Sie hatte einfach die Flucht ergriffen. Alle hatten ihr Bestes gegeben, nur sie hatte sich wie ein Feigling verhalten. Kaum vorstellbar, was Hellami über sich hatte ergehen lassen, um ihnen allen die Flucht zu ermöglichen. Nur sie hatte den Schwanz einzogen und war bei der ersten unangenehmen Sache getürmt.
»Du musst das mit dem Feuer machen!«, rief Azrani plötzlich. »Los, jetzt gleich!«
Leandra bekam einen Schreck. Sie wandte sich um und lief zur Tür. Dann hielt sie inne. Wie sollte sie das anstellen? Sie hatte nichts zum Anziehen. So konnte sie nicht den Raum verlassen.
Aber es erwies sich als nicht mehr notwendig. Jasmin und Roya kamen zurück. Jasmin hatte halb belustigt und halb entsetzt das Gesicht verzogen, und Roya hielt sich lachend und jammernd zugleich die Hand. Ihre Finger waren blutüberströmt.
Hellami sprang auf. »Was ist? Habt ihr ihn bewusstlos geschlagen?«
»Der schläft morgen noch!«, wimmerte Roya. Ihre Hand schien ziemlich weh zu tun. Azrani holte das kleine Tüchlein, mit dem sie den Sand transportiert hatte, unter einem der Strohsäcke hervor, schüttelte es heftig aus und verband behelfsmäßig Royas Hand.
»Los jetzt!«, sagte Hellami. »Wir müssen hier weg. Unsere Freunde werden schon warten!« Sie öffnete die Tür und spähte hinaus. Dann winkte sie den anderen und schlich in den Gang hinaus.
Leandra war wie betäubt. Sie hatte auf der ganzen Linie versagt. Irgendwer schleifte sie mit, und kurze Zeit später standen sie zu sechst, nackt und dem kalten Nachtwind ausgesetzt, auf einem Hochsteg. Unten im Hof stand ein großer Wagen mit zwei vorgespannten Pferden. Drei der Burschen winkten mit irgendwelchen Lumpen zu ihnen herauf.
Der Versuch herauszufinden, was auf das Schiff verladen worden war, hatte leider kein Ergebnis erbracht.
Das Schiff war noch am Abend ausgelaufen; niemand im Hafen wusste, wohin es fuhr und was es geladen hatte.
Die Magier der Gilde hatten selbstverständlich nur mit aller Vorsicht versucht, Informationen zu sammeln, da man vermeiden wollte, dass irgendjemand von ihren Nachforschungen erfuhr. So blieb es ein vorerst ungelöstes Rätsel, woraus die Ladung bestanden hatte. Sie waren sich jedoch darüber einig, dass sie von Bedeutung gewesen sein musste, und Bruder Zerbus war bereit, seine Tonsur darauf zu verwetten, dass es sich bei der vermummten Gestalt um diesen geheimnisvollen Magier aus Hegmafor gehandelt hatte.
Tief in der Nacht begaben sie sich endlich zur Ruhe. Munuel und Remoch hatten zusammen die nächste Wache übernommen.
Munuel saß nachdenklich am Fenster und starrte zum Palast hinüber. Remoch hatte sich auf dem bequemen Bett ausgestreckt und schlief. Seine Wachzeit würde morgen früh anbrechen, dann konnte Munuel sich ausruhen.
Man war dabei geblieben, zu zweit auf Wache zu ziehen - das Schicksal von Lakorta steckte ihnen allen noch zu sehr in den Knochen. Ein einzelner Magier hatte nur wenig Aussichten gegen einen Dämonen, während es bei zweien schon um ein gutes Stück besser aussah. Man würde sich wenigstens verteidigen können, hatte sozusagen die Chance, mit dem Leben davonzukommen. Es hing natürlich immer davon ab, von welcher Art der Dämon war.
Munuel beobachtete das Trivocum mit aller Vorsicht; sein Kontakt zu der magischen Grenzlinie war hauchfein. Die Gefahr, dass er dabei entdeckt wurde, war vergleichsweise gering.
Während er die Struktur und die Farbgebung des Trivocums betrachtete, überlegte er, dass Lakorta etwas Besonderes versucht haben musste. Lakorta war ein äußerst fähiger Meister gewesen; noch nicht so altmeisterlich erfahren wie Ötzli, Jockum oder er - dafür war er noch zu jung gewesen. Wenn sich Munuel recht erinnerte, war er knapp unter fünfzig Jahre alt gewesen. Trotzdem hatte er es in seiner Laufbahn zu größter Meisterschaft gebracht, und er war gewiss in der Lage gewesen, das Trivocum auf ebenso vorsichtige Weise zu beobachten, wie Munuel es jetzt tat. Vielleicht aber hatte er etwas Besonderes entdeckt und sich zu nahe herangewagt.
Allerdings - die Vorstellung, dass es dort drüben, hinter den himmelhohen Mauern des Palasts, einen Magier geben sollte, der, möglicherweise aus dem Stegreif, einen Dämonen ins Diesseits holen konnte, war erschreckend. Munuel wusste, dass es für
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