Höhlenwelt-Saga 1 - Die Bruderschaft von Yoor
Kerle aussuchen? Sie kniff verzweifelt die Augen zusammen und fragte sich, ob es allein sie selbst war, die nun langsam alles verdarb.
Schließlich war es ihre Idee gewesen. Es war zum Verrücktwerden!
Sie versuchte ihren Puls zu beruhigen, wieder flacher zu atmen. Wenn sie die Gelegenheit heute nicht nutzten, würde vielleicht morgen früh wieder eine von ihnen verschwinden. Und dann noch eine. Vielleicht war sie selbst die Nächste, vielleicht Azrani oder die sanfte Roya. Sie wusste nicht, was sie dann erwartete. Hier hatten sie noch eine kleine Chance - wenn sie ihren verdammten Plan nur zu Ende führen konnten!
Die Tür klickte, und Azrani kam herein. Ihr Gesicht war voller Angst und Enttäuschung. Sie blickte Leandra an und erkannte, dass sie sehr wütend war.
»Das ist genau die Sorte Abschaum, von der ich sprach«, zischte Leandra und deutete mit dem Daumen über die Schulter. »Was hast du dir dabei gedacht, verdammt?«
Azrani sah schrecklich unglücklich aus, und Leandra tat es sofort Leid, was sie gesagt hatte. Diese Kerle als Abschaum zu beschreiben hieß, Azranis Geschmack ein schlechtes Zeugnis auszustellen, und das tat gerade einem Mädchen wie ihr schrecklich weh.
Tränen kullerten ihr die Wange herab.
»O nein!«, stöhnte Leandra und nahm sie in die Arme. »Es tut mir Leid, Azrani! Ich hab es nicht so gemeint!«
Aber es war schon zu spät. Azrani brach in Tränen aus. Leandra bemühte sich verzweifelt, sie zu beruhigen. »Ich war gemein zu dir«, sagte sie. »Es tut mir Leid, wirklich. Ich bin eben auch völlig fertig!«
Azrani ließ von ihr ab und wischte sich die Tränen aus den Augen. »Schon gut«, schluchzte sie. »Ich ... ich hab sie soweit.«
»Was?« Leandra hielt sie einen Schritt auf Distanz und sah sie entgeistert an. »Sag das noch mal!«
Azrani nickte. »Sie warten in einer halben Stunde mit einem Wagen und Kleidern auf uns. Irgendwo dort hinter dem Haus.«
Leandra glaubte, ihren Ohren nicht zu trauen. Wenn das stimmte, dann wog ihre Ungerechtigkeit gegenüber Azrani doppelt schwer. »Ist das wahr?«, fragte sie entgeistert. Azrani nickte nur.
Trotz ihrer Aufgewühltheit fiel ihr ein riesiger Stein vom Herzen. Jetzt war der halbe Plan erfüllt. Sie packte Azrani bei den Schultern. »Für meine Gemeinheit darfst du mir später eine kleben, ja? Wir müssen uns jetzt beeilen! Einverstanden?«
Azrani fing sich schnell wieder. »Gut«, sagte sie. »Lass uns nach oben gehen. Da gibst du mir dann das Hemdchen, und ich bringe es Hellami. Ich nehme sie gleich mit. Die Burschen wollen kein Geld. Für sie ist es so etwas wie ... ein Abenteuer!«
Leandra biss sich auf die Lippe. Ihre Missgeschicke schienen heute nicht enden zu wollen.
Sie sagte nichts mehr und schob Azrani aus dem Klosettraum hinaus. Ein Blick zu dem Tisch, an dem die vier zuvor noch gesessen hatten, sagte ihr, dass Azrani Recht behalten würde - die Burschen waren tatsächlich weg, und die Wahrscheinlichkeit, dass sie in einer halben Stunde hinter dem Haus warteten, war hoch. Es war ihr ein Rätsel, wie Azrani das so schnell geschafft hatte.
Eine halbe Minute später waren sie oben. Azrani nahm die beiden Hemdchen und ging wieder hinunter. Aber es dauerte fast die ganze halbe Stunde, bis sie zusammen mit Hellami wieder zurückkam. Offenbar war es nicht so leicht gewesen, den Dicken wieder loszuwerden. Beide wirkten, als wären sie mit den Nerven am Ende.
»Wie geht es dir, Hellami?«, fragte Leandra vorsichtig.
»Hatte schon bessere Tage«, presste sie hervor.
Leandra verzichtete auf weitere Fragen. Hellami würde schon ein Zeichen geben, wenn sie mit jemandem sprechen wollte. So wie sie aussah, hatte sie weit mehr durchgemacht, als ihr lieb gewesen wäre. Sie öffnete die Hand und ließ eine stattliche Anzahl Münzen auf den Boden klimpern. Sie tat es mit einem angewiderten Gesichtsausdruck, so als hätte sie ein Dutzend Blutegel in der Hand gehalten.
Leandra sah hinab. Es waren fast nur große Goldmünzen darunter. Hellami hatte ihr Versprechen gehalten.
»Jetzt kommt euer Auftritt, Kinder!«, sagte Hellami und blickte zu Jasmin und Roya. Sie zog das Hemdchen aus und knallte es auf den Boden. »Ich hab für heute die Schnauze voll.«
Die beiden Schwestern zögerten nicht lange, zogen sich an und verließen das Zimmer. Die sandgefüllte Flasche hielt Roya hinter ihrem Rücken versteckt.
Hellami ließ sich mit einem Stöhnen auf einen Strohballen fallen, kauerte sich zusammen und starrte den Boden an. Marina
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