Höhlenwelt-Saga 4 - Das magische Siegel
lange genug. Innerhalb dieser Zeit werden sie es uns entreißen. Sie haben
uns in der Hand, können uns gegeneinander ausspielen. Denn sie
besitzen eines nicht, was wir haben: Skrupel.«
Leandra schüttelte fassungslos den Kopf. »Ich kann nicht begreifen, dass sie dir das alles gesagt haben. Das ist doch…«
»Dies haben sie mir auch nicht gesagt. Aber es ist keine Kunst,
es sich zusammenzureimen. Man muss sich hier nur umsehen.«
»Und du?«, fragte Leandra. »Welche Rolle spielst du in diesem
Plan? Warum haben sie sich auf einen Pakt mit dir eingelassen?«
»Ich?« Er hob die Achseln. »Ich habe Einfluss auf die Bruderschaft und kann ihnen die Rohe Magie zugänglich machen. Zudem
brauchen sie einen Verbündeten in unserer Welt, der weiß, wo es
in Sachen Magie etwas zu holen gibt und der sich mit den Besonderheiten der menschlichen Gesellschaft auskennt. Damit sie den
Hebel an den richtigen Stellen ansetzen können, um Druck auszuüben und auch den Zugang zu dem Wissen anderer Magiedisziplinen erhalten.«
Leandra hielt es für ein gutes Zeichen, dass sich Rasnor bei all
dem offenbar unwohl fühlte. »Du bist ein Werkzeug für sie«, sagte sie leise. »Du hilfst ihnen sogar, deinen eigenen Leuten wehzutun.«
Er nickte. »Stimmt.«
»Und das gefällt dir?«
Wieder blieb er stehen. »Ja!«, rief er und hob beschwörend die
Hände. »Vor kurzem noch war das ein wirklich erhebender Gedanke für mich!
Besonders euch wollte ich wehtun – dir, Victor, Quendras, eurem Hochmeister, dieser Roya und noch vielen anderen! Ich wollte sogar meinen Leuten von der Bruderschaft wehtun – einfach
allen, die dazu beigetragen hatten, mich ein Leben lang zu quälen
und zu unterdrücken! Und dann wollte ich auch noch denen wehtun, die mich für all das verachteten, was ich war. Ich hielt es für
einen phantastischen Gedanken, allen Menschen wehzutun! So
sehr es nur ging!«
Rasnor hatte während seiner Rede regelrechte Begeisterung
ausgestrahlt. Leandra musste sich mit aller Kraft zusammennehmen, um nicht die Beherrschung zu verlieren. »Und jetzt… nicht
mehr?«, presste sie hervor.
Innerhalb einer Sekunde fiel sein fanatisches Gehabe von ihm
ab, als würde er einen zu schweren Mantel ablegen. Er sackte
förmlich in sich zusammen und stieß ein gequältes Seufzen aus.
»Nein. Jetzt nicht mehr.«
Sie konnte nicht anders, als seine anmaßende und lächerliche
Vorstellung mit einer zynischen Bemerkung zu quittieren. »Wohl
kaum, weil du plötzlich die Menschen lieben gelernt hast, oder?«
Er ging nicht darauf ein. »Weil die Drakken noch schlimmer
sind!«, sagte er bitter. »Es sind die hässlichsten, widerwärtigsten
und zugleich dümmsten Kreaturen, die man sich nur vorstellen
kann. Ich hasse sie, diese Bestien! Und sie… stinken!«
Leandra hätte beinahe aufgelacht. »Das wird dir erst jetzt klar?
Dass sie so sind?« Er maß sie mit finsteren Blicken, so als wollte
er wiederum ihr die Schuld zuweisen. »Du hast es mir klar gemacht.«
»Ich?«
Er blickte zu Boden. »Ja, ich…« Weiter kam er nicht.
Und wieder wusste sie, was er meinte. Langsam war er ein offenes Buch für sie. Nur eines weigerte sich ihr Verstand zu akzeptieren: sein fehlendes Maß. Er schien überhaupt kein Verhältnis
zwischen eigenen und fremden Fehlern und der eigenen und
fremden Reaktion darauf zu kennen. Er würde eine lästige Mücke
mit einem einstürzenden Stützpfeiler erschlagen und dabei ein
ganzes Dorf auslöschen, nur um anschließend Reue zu empfinden
und dann zu sagen, sie wären eigentlich selbst Schuld gewesen,
diese Leute, ihr Dorf an dieser Stelle zu errichten. Sie hätte ihn
am liebsten geohrfeigt.
In einer plötzlichen Aufwallung von Wut trat sie an ihn heran
und packte ihn an seiner Kutte. »Du willst doch Freunde haben,
nicht wahr? Das ist es, was man aus jedem deiner Worte und
jeder deiner Bewegungen herauslesen kann! Wenn du Freunde
haben willst, wirkliche Freunde, dann musst du sie dir verdienen.
Durch Respekt. Tu es, indem du hilfst.
Mir, dir und unserer Welt! Dann brauchst du diese verdammten
Drakken nicht!«
Er glotzte sie an, während sich sein Gesicht in Hilflosigkeit und
Elend verzog. Für einen schrecklichen Moment dachte sie, er wollte ihr in die Arme fallen. Schnell trat sie einen Schritt zurück.
Rasnor hielt an sich.
»Was soll ich denn tun?«, rief er. »Was kann ich überhaupt
noch tun gegen diesen… Wahnsinn?«
Leandra starrte ihn böse an. »Welchen Wahnsinn meinst du?
Deinen? Der dich dazu trieb,
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