Höhlenwelt-Saga 4 - Das magische Siegel
hinten durch den Einschnitt in den Tunnel
fiel. Gewaltige Muskelstränge zogen sich von der Brust zu den
Schwingenansätzen; der Hals wirkte wie eine Stahlfeder und auch
die Beine des Drachen sahen unglaublich stark aus. Alina wusste,
dass diese Tiere trotz ihres nicht geringen Gewichts aus dem
Stand zehn oder zwölf Schritt in die Höhe springen konnten.
Sie bückte sich, hob ihr Leinenhemd auf, das sie zuletzt hatte
fallen lassen, und hielt es sich vor die Brust. Sie versuchte ein
Lächeln und sagte: »Hallo, Tirao.«
Sie wusste nicht, ob er es wirklich war, aber eigentlich konnte
nur er es sein. Kein anderer Drache hätte so unmittelbar auf ihre
Geste reagiert.
Der Drache antwortete mit einem leisen, tiefen Grollen, das tief
aus seiner Brust zu ihr drang. Sie hatte noch nie ein solches Geräusch gehört; es versetzte beinahe alles in der Umgebung in
leise Schwingungen, sogar den Sand unter ihren Füßen. Und dann
plötzlich stob eine wilde Bilderflut durch ihren Kopf; Bilder, die sie
nie gesehen hatte, aber dennoch kannte. Sie trat betroffen einen
Schritt zurück.
Zuerst sah sie Bor Akramoria, einen großen Wasserfall, einen
verwegenen, kleinen Felszinken auf seiner oberen Kante und
dann eine Festung, die darauf thronte. Sie sah Bilder von Drachen, einem gewaltigen See, und plötzlich war das Gesicht von
Leandra da und gleich drauf das von Victor. Unwillkürlich hob sie
die Hand, aber da war er schon wieder fort.
Sie sah Jacko und dann Munuel – jedenfalls glaubte sie ihn zu
erkennen, denn heute sah er anders aus. Zwei weitere Männer
waren auch noch da, die sie nicht kannte. Die Bilderflut verebbte
und sie blinzelte den Drachen ungläubig an. Ihr Puls wummerte
noch immer, nun aber empfand sie die Gewissheit, dass sie wirklich ihr Ziel erreicht hatte. Roya konnte nicht mehr weit sein.
»Ich… ich bin Alina«, sagte sie zaghaft. Sie wusste nicht, ob er sie
verstehen konnte oder ob er überhaupt ihren Namen je gehört
hatte. Wieder folgte dieses tiefe Grollen. Sie hielt es für eine Bestätigung.
Über ihnen strich der andere Drache vorbei, und dann sah Alina
auch Marko und Izeban, die sich vorsichtig von links näherten.
Sie konnte sich mit ihrem Hemd kaum bedecken, aber die beiden
hatten ohnehin keinen Blick für sie. Mit großen, runden Augen
und offenen Mündern starrten sie den riesigen Felsdrachen an.
Für Momente sah Alina ein Bild zweier fliegender Drachen in ihrem Kopf, dann breitete Tirao die Schwingen aus und warf sich
mit einem gewaltigen Satz schräg nach rechts in die Luft. Der
Sturm, den er dabei entfachte, war so gewaltig, dass Alina von
den Füßen gehoben wurde. Zum Glück fiel sie nicht auf ihren verletzten Arm, sondern landete nur im Sand. Als sie die Orientierung zurückgewann und sich aufrappeln wollte, stand Marko mit
einem verlegenen Grinsen über ihr und reichte ihr das Hemd.
So sehr er sich auch bemühte, er konnte seine Blicke nicht allein auf ihr Gesicht heften. Aber das kümmerte sie im Moment
nicht weiter. »Schnell.«, rief sie. »Er will, dass wir ihnen folgen!«
*
Nun erwies sich die gemächliche Fluggeschwindigkeit ihres
Drakkenbootes als echtes Ärgernis und stellte ihre Geduld auf
eine harte Probe. Meister Izeban fluchte unablässig und schwor
bei allen Dämonen, dass er nicht eher aufgeben würde, bis er mit
dem Drakkenschiff von hier bis Savalgor in einer Stunde fliegen
konnte. Unter diesen Bedingungen, so schimpfte er wütend, würde er wohl eher ein Jahr benötigen. Doch die Drachen waren geduldig mit ihnen. Sie waren intelligent, so intelligent wie Menschen, sagte sich Alina immer wieder. Oder sogar noch mehr. Sie
würden verstehen, dass dies ein Schiff der Drakken und nicht der
Menschen war und es ohnehin an ein Wunder grenzte, dass Izeban es zum Fliegen gebracht hatte.
So bemühten sie sich, hinter den Drachen herzuschaukeln, und
Alina hatte das Gefühl, dass sie noch langsamer waren als sonst,
denn Izebans war so aufgeregt, dass er Mühe hatte, das Schiff
ruhig zu halten. Irgendwann wurde es Marko zu viel und er verscheuchte Izeban aus dem Pilotensitz, woraufhin der Flug ruhiger
und auch ein wenig schneller wurde, wie Alina fand. Izeban war
beleidigt nach hinten abgezogen, aber er war wohl mehr wütend
auf sich selbst als auf Marko. Sie bewegten sich nach Nordosten;
Marko war der Ansicht, dass sie dies unmittelbar zum Mogellsee
führen musste. Sie waren bis aufs Äußerste gespannt, wohin die
Drachen sie führen würden; ihre Vermutungen
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