Höhlenwelt-Saga 4 - Das magische Siegel
allen Dämonen!«, flüsterte Rasnor. »Was ist das? Warum
lauft ihr so? Was ist mit euren Kleidern?«
»Diese Hitze…«, sagte Roya. Ihre Stimme zitterte.
In diesem Augenblick glitt vor ihnen mit einem Zischen die breite, bogenförmige Tür nach oben auf. Sie gab den Blick in einen
weiten, ovalen Raum frei. Ganz auf der anderen Seite, hinter einem großen, leeren Tisch, saß ein riesiger, weißlicher Drakken
auf einem seltsamen Sitz. Wiewohl der Anblick dieses Ungetüms
schockierend war, gestattete sich Leandra kein Zaudern. »Los!
Rein da!«, zischte sie den anderen zu. Bei ihrem Kleid hatte sich
rechts eine breite Naht geöffnet, woraufhin sie über den herabhängenden Saum stolperte und beinahe hinfiel; sie schleppte
sich, so schnell sie nur konnte, hinein. Die anderen Mädchen folgten ihr rasch, zuletzt trat Rasnor ein, kopfschüttelnd und völlig
verwirrt. Er hob die Arme, als wollte er dem riesigen Drakken
signalisieren, dass er keine Vorstellung hatte, was hier los war.
Und dann geschah tatsächlich, was Leandra gehofft hatte – das
Einzige, was sie noch retten konnte: Die große, metallene Tür
glitt wieder zu. Leandra stand sieben, acht Schritte weit im Raum,
der riesige Drakken erhob sich gerade und eine seltsame Ruhe
überkam sie plötzlich. In Situationen wie dieser besaß eine Frau
manchmal eine verblüffend wirksame Waffe: ihren Körper, kombiniert mit Kaltblütigkeit. Sie würde vielleicht sogar bei diesem
Drakkenungetüm wirken.
Sie nickte Roya unmerklich zu und ließ endlich ihren langen
Rock los, den sie die ganze Zeit über mit Anstrengung hochgehalten hatte. Er riss hörbar in Höhe ihrer Hüften und fiel schwer zu
Boden. Rasnor machte fast einen Satz.
Mit einem entschuldigenden Lächeln stieg sie aus den Überresten auf dem Boden und wandte sich an den uCuluu: »Entschuldigt, Herr Oberdrakken! Aber ich konnte dieses Zeug nicht mehr
halten. Es muss eine halbe Tonne wiegen!« Ächzend schälte sie
sich aus der kleinen, damenhaften Weste, die wie ein Sack an ihr
hing, und ließ sie hinter sich zu Boden fallen. Es tat einen regelrechten Schlag, als sie aufprallte.
Nun hatte der uCuluu seinen Tisch umrundet und starrte sie mit
wütenden Blicken an. Rasnor stand da wie vom Blitz getroffen,
sah ihnen mit großen Augen zu und verstand einfach nicht, was
hier vor sich ging.
Leandra schälte sich zuletzt noch aus dem nutzlosen, schulterfreien Oberteil ihres Kleides und stand für Momente mit nackten
Brüsten da, was Rasnors Augen beinahe aus den Höhlen quellen
ließ. Sie zog sich rasch ein dünnes Unterhemd über den Oberkörper, das sie heruntergezogen über dem Bauch getragen hatte.
Endlich schien sie fertig zu sein und warf nach einem unschuldigen Schulterzucken dem uCuluu und Rasnor ein verlegenes Lä
cheln zu.
Rasnor starrte sie noch immer völlig entgeistert an. Dann sah er
zu den anderen dreien, die sich noch nicht vom Fleck gerührt hatten. »Leandra! Bist du vollkommen verrückt geworden? Was soll
das?«
Der uCuluu, ein hoch gewachsener gefährlich aussehender
Drakken von mehr als fünf Ellen Größe, hatte noch immer nichts
gesagt. Er stand in sechs, sieben Schritt Entfernung vom Ort des
bizarren Geschehens und beobachtete sie wortlos und mit blitzenden Augen. Leandra nickte Roya wieder zu. »Wollt ihr euch
nicht auch erleichtern?«, fragte sie laut ihre Freundinnen.
Die Antwort war ein mehrstimmiges, befreites Seufzen.
Leandra beobachtete ihre Freundinnen mit scharfen Blicken,
während sie sich auszogen. Roya war es gewesen, die so viel
Klugheit und Voraussicht besessen hatte, sich eine solche Situation auszudenken und etwas dafür einzustudieren. Leandra biss
sich grimmig auf die Lippen. Sie empfand Stolz und tiefe innere
Befriedigung, dass sie eine Situation wie diese im Griff haben
würden. Gleich würde etwas ausgesprochen Planvolles passieren.
Sie drehte sich um und wandte sich wieder an den uCuluu. »Wir
haben Euch ein Geschenk mitgebracht, verehrter uCuluu!«, sagte
sie laut und deutete auf ihre Kleider, die zerrissen am Boden lagen. »Salz!«
Der oberste Drakken stand breitbeinig und mit drohendem Gesicht vor ihr. »Salz?«, fragte er.
Allein an diesem einen Wort hatte man hören können, dass er
eine feine, menschlich modulierte Stimme besaß, und vermutlich
war er auch um ein Vielfaches klüger und umgänglicher als seine
dummen Vernichter-Kreaturen, die er über die Höhlenwelt gesandt hatte. Schade, dass wir uns nicht mehr unterhalten können, dachte sie böse.
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