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Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens

Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens

Titel: Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Evers
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das schwere, doppelflügelige Holztor. »Schlaft ihr denn
alle?«, rief er wütend. Er blickte in die Höhe, wo die Abteimauern
in ungewöhnliche Höhen aufstrebten.
Hegmafor war noch immer so abweisend wie schon in den Jahrhunderten zuvor – die überladen waren mit dunklen, alten Geschichten. Jenes Ereignis vor rund dreißig Jahren stellte wohl den
Höhepunkt dar, als hier mit einem Großaufgebot des Cambrischen
Ordens und Tausenden von Soldaten ein Dämon höherer Ordnung
vertrieben worden war, angeführt von Hochmeister Jockum und
seinen beiden Mitstreitern Munuel und Ötzli.
Wieder lachte Rasnor spöttisch auf, während er hinter dem Tor
eilige Schritte auf dem Hofpflaster zu hören glaubte. Ja, derselbe
Ötzli, der sozusagen inzwischen auf die Seite dieses Dämons gewechselt war. Nur wusste Ötzli nichts davon, dass Hegmafor wieder in den Mittelpunkt gerückt war, jedenfalls für Rasnor. Von
hier bezog er altes Wissen und neue Leute, und hätte Ötzli
geahnt, weswegen Rasnor dieses Mal hier war, hätte er sicher
aufgehorcht.
Die kleine Einlasstür im rechten der beiden großen Torflügel
öffnete sich, und ein junger Mönch sah heraus.
»Ja?«
Rasnor besann sich rechtzeitig auf die Tarnung dieses uralten,
geheimen Stützpunktes der Bruderschaft und neigte demütig das
Haupt.
»Verzeih, Bruder, dass ich so ungeduldig war. Das Wetter, verstehst du?«
Ein Lächeln huschte über das Gesicht des jungen Mannes. Er
trat einen Schritt heraus und verneigte sich. »Willkommen, Hoher
Meister«, flüsterte er und sah wieder auf. »Ich erkenne Euch.
Mein Name ist Leonis.«
Rasnor nickte befriedigt. »Bring mich zu Septos. Sofort.«
»Jawohl, Hoher Meister. Bitte folgt mir.«
*
    »Was weißt du schon von den Geheimnissen der Magie?«, fragte der Alte mit gehässigem Spott in der Stimme. Der Kerzenleuchter warf flackerndes Licht in die niedrige, dunkle Turmstube;
es roch muffig und süßlich zugleich, und die Luft war seltsam
warm.
    Rasnor versuchte seine Unruhe niederzukämpfen. Nie wieder
werde ich hierher kommen, hatte er sich gesagt. Nun war er doch
da.
    Er sah sich in der Turmstube um, deren Holzdecke so niedrig
hing, dass man nur gebeugt stehen konnte. Prior Septos hatte ihn
wieder hier heraufgebracht, über geheime Wege, von denen der
Primas von Hegmafor und die hiesigen Mönche nichts ahnten. Nur
die Mitglieder der Bruderschaft, die sich hier unerkannt bewegten
und ihre Wirkungsstätten in den tiefen, verborgenen Verliesen der
Abtei hatten, kannten die wahren Geheimnisse dieses Ortes.
    Seit Rasnors letztem Besuch hatte sich hier oben nichts verändert. Er wandte den Kopf zu dem Alten. Auch er sah aus wie zuletzt: ausgezehrt und verwahrlost, im Schneidersitz auf seinem
stinkenden Strohlager hockend, die Augen geschlossen, ein herausforderndes, spöttisches Grinsen im Gesicht.
»Ich weiß weniger als du, Alter, das ist mir klar«, flüsterte Rasnor. »Aber ich muss mehr erfahren. Deswegen bin ich hier.«
Der Alte kicherte hölzern, ein unangenehmer Laut. »Jaaa!
Du hast Blut geleckt, gesteh es ein«, forderte er. »Blut, jaaa!
Hast du… ihn gefragt?«
    Auf diese Frage hatte Rasnor versucht, sich vorzubereiten, doch
es war ihm nicht gelungen. Wie auf ein Stichwort hin begann sein
Herz schneller und härter zu schlagen. »Nein, Alter.«
    Er musste all seine Beherrschung aufbringen, um seine Stimme
einigermaßen fest klingen zu lassen. »Er… er war nicht mehr da.«
Wieder ertönte das Kichern, diesmal enthielt es nicht nur Spott,
sondern auch Hochmut, so als glaubte der Alte, als Einziger alle
mystischen und arkanen Geheimnisse der Welt zu kennen, und
wäre deswegen mehr wert als sein Gegenüber.
Die inzwischen wohlbekannte Wut brandete in Rasnor wieder
auf. Für Momente kochte der heiße Wunsch in seinen Adern, dem
stinkenden Alten die Kehrseite seiner Hand ins Gesicht zu
schmettern, und zwar mit Wucht. Aber das hätte dieses Wrack
umbringen können. Schon seit zwanzig Jahren vegetierte er hier
oben in diesem verborgenen Turmzimmer vor sich hin und hockte
in seiner eigenen Pisse. Rasnor verzog angewidert das Gesicht,
als er daran dachte, wie sehr er vor Ehrfurcht erschauert war, als
er das erste Mal davon gehört hatte, dass es in Hegmafor noch
einen leibhaftigen Wächter der Tiefe geben sollte. Doch das einzig
Ehrfurchtgebietende an diesem Lumpensack war sein unglaubliches Alter. Wenn man den Legenden von Hegmafor Glauben
schenken wollte, musste er über einhundertfünfzig Jahre alt sein.

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