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Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens

Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens

Titel: Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Evers
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Ecken.
Einen anderen Grund, wie etwa Steinplatten oder Felsbrocken,
gab es hier nicht. Auf unerklärliche Weise wirkte die Halle, als
wäre sie bis zu einer gewissen Höhe mit diesem Kies angefüllt.
Sie fluchte leise in sich hinein, als ihr Herz vor Unruhe immer
heftiger pochte. Doch der Würfel wollte sie anscheinend tiefer
bringen, und sie folgte ihm. Es war ähnlich wie auf der Fünfeckpyramide, als seltsame Vorahnungen sie befallen hatten. Hätte
sie nicht ein so großes Vertrauen in den Würfel und in ihre Körperhülle gehabt, wäre sie keine Elle tiefer getaucht.
Dann war sie unten – und als sie es sah, traf es sie wie ein
Faustschlag.
Ihre Nackenhaare sträubten sich, sie stieß ein Würgen aus und
versuchte sich mit verzweifelten Bewegungen nach oben zu
kämpfen. Zwar drohte ihr keine Gefahr, aber die Erkenntnis, woraus dieser Kies bestand, war so ungeheuerlich, dass sie sich völlig verloren, ausgeliefert und allein gelassen in einem Kosmos des
Grauens vorkam.
Die rötliche Färbung hätte sie warnen sollen. Die kannte sie bereits, aber um die Formen erkennen zu können, hatte sie bis ganz
hinabtauchen müssen. Endlich hatte sie ein paar Ellen zwischen
sich und dieses Meer aus Knochen gebracht und starrte voller
Entsetzen und Ungläubigkeit in die Tiefe. Der Würfel war wieder
bei ihr, schwebte friedlich und völlig unbeteiligt auf Höhe ihres
Gesichts, und da begriff sie eine weitere Einzelheit dessen, was
ihn ausmachte: seine Neutralität. Er zeigte ihr unfassbare Orte
wie diesen hier, aber das Urteil überließ er stets ihr selbst.
Wieder sah sie hinab, wo Millionen der kleinen gebogenen Knochen und der länglichen Schädel mit den großen Augenhöhlen
sich häuften… Nein, korrigierte sie sich, sie häuften sich nicht, sie
erstreckten sich. Die Halle musste eine halbe Meile im Quadrat
messen, und diese riesige Fläche war vollständig übersät mit den
Knochen. Und wie sie schon zuvor zu spüren geglaubt hatte,
musste die Halle mit den Knochen angefüllt sein. Die Vorstellung,
welchem Zweck dieser Ort gedient haben mochte, war monströs.
Es handelte sich um ein Massengrab mit System, das fühlte sie
geradezu; um eines, das man nicht eilig unter einer Decke frisch
aufgepflügter Erde zu verbergen versuchte, sondern das man
wieder und wieder benutzte und das von Anfang an so geplant
und angelegt worden war, dass es für Jahrhunderte oder sogar
noch länger ausreichte. Die Dimension dieses Ortes sprach eine
deutliche Sprache. Azrani hätte darauf gewettet, dass die Dicke
des Knochenteppichs dort unten gewaltig war. Womöglich betrug
sie noch einmal die derzeitige Höhe der Halle.
Ihr Magen wollte rebellieren, die bloße Nähe dieser Massen von
Leichen, auch wenn sie Jahrtausende alt sein mochten, nahm ihr
den Atem, den sie gar nicht brauchte; sie säuerten ihr das Blut
und ließen sie würgen. Sie wollte nur noch fort von hier, und das
so schnell es ging.
Und dann wurde ihr wieder etwas klar. Ihr Blick fuhr voller Entsetzen in die Höhe. Sie starrte in Richtung der schwarzen Löcher,
die rund zweihundertfünfzig Ellen über ihr in einem weiten Kreis
den Zugang zu dieser Halle umgaben. Plötzlich wusste sie, welchem Zweck sie dienten.
Dass sie dennoch keine Bedrohung für sie darstellten, half ihr
nicht im Mindesten.
Mit panischen Bewegungen versuchte sie aufzutauchen, um
möglichst schnell wieder hinauf in die rettende Halle zu gelangen.
Aber da ging es schon los, da begann das ganze Unheil, und das
sichere Gefühl, selbst nur eine Besucherin zu sein, tröstete sie
nur wenig.
Aus dem Schlund über ihr ergossen sich, anfangs langsam, aber
dann in immer größeren Massen, kleine, graue Leiber.
Sie besaßen sechs Beine – oder zwei Beine und vier Arme –,
und sie waren Unterwasseratmer, weswegen es keine Schwierigkeit darstellte, sie hier in diese Halle zu locken. Sie konnten auch
an Land atmen, sie wohnten ja in Städten, aber all diese Erkenntnisse waren nicht wichtig, nicht jetzt, da Azrani gezeigt bekam,
welchem Zweck diese Halle diente.
Die Kreaturen strömten herein, fluteten über Azrani hinweg,
ohne sie zu berühren, während sie sich in rasender Eile nach oben
arbeitete. Aber sie war zu spät, und das Grauen nahm seinen
Anfang.
Riesige schwarze Leiber schossen aus den Schlünden dort oben,
Leiber wie von drachenartigen Schlangen, mit fürchterlichen Gebissen, mordgierig und bald in einen irrsinnigen Blutrausch verfallend. Binnen kurzem verfärbte sich das

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