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Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens

Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens

Titel: Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Evers
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Ganze
dauerte dreimal so lang, wie ihr lieb war.
Der Drache lag unverändert da, nur war sein Schädel ein wenig
mehr zur Seite gekippt, sodass die grässlich zerschmetterte Gesichtshälfte direkt dem Mondlicht zugewandt war. Sein Atem ging
rasselnd, doch sein Herz pumpte noch immer in dunklen Stößen.
Inzwischen musste Hellami gar nicht mehr darauf lauschen – seit
Stunden schon lebte sie im Rhythmus dieses Geräusches. Sie
wünschte sich, sie hätte Cathryn den Drachen ein wenig beschrieben, um sie auf den Anblick vorzubereiten. Er zählte zu den
grausigsten Bildern, die sie je erblickt hatte. Verzweifelt fragte sie
sich, was das arme Mädchen noch alles erleben und mit ansehen
musste, ehe sie in ein Alter kam, in dem sie überhaupt erst in der
Lage wäre, so etwas zu verkraften. Vorsichtig reckte sie den Kopf
über die Kante und versuchte, in die Spalte zwischen den beiden
Felsbrocken zu spähen. Doch sie konnte nichts erkennen, alles
dort lag im Schatten. Cathryn aber schien sie erspäht zu haben.
Gleich darauf sah Hellami eine Bewegung.
Ihr Herz begann schneller zu schlagen, als sie mit verfolgte, wie
sich Cathryn, auf allen vieren krabbelnd, ganz langsam über den
Sand bewegte, jede Hand und jedes Knie sorgfältig und lautlos
aufsetzend. Sie hätte die Kleine küssen mögen, dass sie so klug
und umsichtig handelte. Das Schwert lag nur ein kleines Stück
entfernt, und eigentlich sah alles ganz leicht aus. Wäre da nur
nicht dieser entsetzliche Drachenschädel gewesen. Er war mindestens zehnmal so groß wie Cathryn. Hellami wagte nicht, sich
vorzustellen, was in dem Kopf des Mädchens vor sich ging. Bis
heute wusste niemand, was ihr in den zwei Wochen widerfahren
war, als sie verschwunden gewesen war. Davor schon war sie
entführt worden, hatte ihren Freund Meister Fujima auf die hässlichste Weise sterben sehen und dann auch noch den Verlust der
großen Schwester bewältigen müssen, die bis heute verschollen
war. Und nun diese Geschichte… es war einfach grauenvoll. Und
doch war sie ein fröhliches Mädchen geblieben, voller Lebenskraft… Hellami fasste den plötzlichen wilden Entschluss, dort hinabzuspringen und sich vor Cathryn zu stellen, sollte der Drache
erwachen – ganz egal, womit das enden mochte.
Cathryn kroch weiter voran, direkt auf den Drachen zu; ihre
langen, lockigen Haare hingen bis fast zum Boden herab – eine
seltsame Szene, die sich da abspielte. Jetzt waren es nur noch
drei oder vier Schritte. Sie vernahm nicht das leiseste Geräusch
von Cathryn.
Dann hatte die Kleine das Schwert erreicht und erhob sich vorsichtig, mit ausgebreiteten Armen, um das Gleichgewicht zu halten. Der Drachenschädel war so nah, dass sie ihn fast hätte berühren können. Allein der Gestank musste unerträglich sein.
Woher nimmt sie diesen Mut?
Nun bückte sich Cathryn, um das Schwert aufzuheben. Sie fasste es am Heft, richtete sich auf, und als sie wieder stand, erwachte der Drache.
Der elektrisierende Stoß, der Hellami durchzuckte, hätte sie fast
vom Felsen gefegt. Wieder kam ihr der Gedanke, dass der Drache
sie vielleicht nicht sehen konnte, wenn sie beide völlig regungslos
blieben.
Aber – wie sollte er das Mädchen übersehen, dessen helle Haut
im Mondlicht schimmerte? So unsagbar dumm konnte er gar nicht
sein, auch wenn er nur noch ein Auge hatte.
Nachdem der blutige Schädel hochgezuckt war, bewegte er sich
nur noch ganz langsam, so als wäre der Drache erstaunt, dieses
winzige Wesen direkt vor sich zu erblicken. Hellamis Gedanken
tobten, sie wusste nicht, was sie tun sollte. Sprang sie hinab,
würden sie beide sterben, das stand völlig außer Frage, auch
wenn es ihr gelänge, an das Schwert zu kommen. Blieb sie unbewegt an ihrem Platz, mochte vielleicht noch ein Wunder geschehen…
Cathryn stand einfach nur da, winzig klein, nackt und völlig reglos. Der gewaltige Drachenschädel schwebte dicht vor ihr, ebenso
reglos. In der Linken hielt sie das Heft des Schwertes, dessen
Spitze noch im Sand steckte; es war viel zu groß, als dass sie es
mit einer Hand hätte heben können. Der Mond schien unmittelbar
auf die beiden herab, und wäre es ein Felsdrache gewesen – an
einem märchenhaften Meeresstrand auf hellgelbem Sand – und
kein blutiges, verletztes und mordgieriges Ungeheuer, hätte es
ein Bild von unendlicher Poesie sein können. Ein kleines, verletzliches Kind, schön wie ein Engel, und ein riesiges Wesen von unglaublicher Kraft, vereint in einem Moment von

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