Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens

Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens

Titel: Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Evers
Vom Netzwerk:
übersinnlicher
Anmut. Dann geschah das Unglaubliche. Etwas, das so viel Kraft
und Bedeutung in sich trug, dass Hellami wusste, sie würde diese
Begebenheit ihr Leben lang nicht wieder vergessen können.
Der gewaltige Drachenschädel sank herab, näherte sich Cathryn
bis auf eine winzige Distanz und verharrte. Das Maul des Tieres
war geschlossen, und dennoch starrten seine gewaltigen gesplitterten Zähne aus seiner zerschmetterten linken Gesichtshälfte.
Der Anblick war Furcht erregend. Für Momente schien die Zeit
stillzustehen. Eine seltsame Vorahnung war über Hellami gekommen, und sie richtete sich auf – etwas, das sie keinesfalls hätte
tun dürfen, aber sie tat es trotzdem.
Aus Staunen und Ungläubigkeit.
Wie gebannt starrte sie hinab, als Cathryn, das Heft des herabhängenden Schwertes noch immer in der linken Hand, den rechten Arm hob. Ihre kleine Hand streckte sich dem Drachen entgegen; sie reckte sich dabei sogar ein wenig und berührte mit den
Fingerspitzen die Unterlippe des gewaltigen Mauls. Ihre kleinen
Finger tasteten umher, als wollten sie eine besondere Stelle finden. Der Drache blieb vollkommen ruhig. Hellami glaubte ihren
Augen nicht zu trauen.
Dennoch verstand ein Teil von ihr, was da geschah. Und wieder
spürte sie, wie ihr die Tränen kamen, Tränen der Faszination und
der Rührung über dieses unglaubliche Kind.
Die Berührung zwischen Cathryn und dem Drachen dauerte nur
wenige Herzschläge, dann zog sich der gewaltige Schädel zurück
und sank langsam tiefer. Bald hatte er den Sandboden erreicht,
der Hals erschlaffte, und der Drache lag still.
Hellami musste gar nicht mehr nach der Stelle unterhalb der
abgerissenen Drachenschwinge sehen, um festzustellen, dass das
Herz der riesigen Kreatur nicht mehr schlug. Sie konnte es spüren
– der dunkle Puls, der viele Stunden lang den Fels durchdrungen
hatte, war erloschen.
Ihre Knie gaben nach, und ehe sie sich wieder fangen konnte,
hatte sie das Gleichgewicht verloren und musste ihren Sturz in
einen Sprung verwandeln. Als sie auf dem Sand wieder zu sich
kam, schlang sie die Arme um Cathryn und sagte sich, dass sie
bald damit aufhören sollte zu weinen. Das Mädchen hatte sich wie
ein Kleinkind zusammengezogen und klammerte sich ganz fest an
sie, aber Hellami spürte, dass Cathryn keinen Schutz suchte,
sondern ihr durch diese Berührung etwas geben wollte.
Erleichterung, Wärme und Trost. Es schien beinahe, als glühte
Cathryn von der inneren Kraft, die sie besaß; sie glühte auf eine
geheimnisvolle Weise, die man nicht körperlich spüren konnte –
aber seelisch.
»Wie… wie hast du das nur gemacht, Cathryn?«, flüsterte Hellami.
Cathryn atmete ein paarmal ruhig ein und aus. »Ich glaube, ich
habe ihn… geheilt.«
Hellami schluckte. »Geheilt?«
Cathryn hob den Kopf, suchte Hellamis Blick. »Ja. Seine Wut. Er
war… wie vergiftet. Ich glaube, das hat ihn so lange am Leben
gehalten.«
Hellami starrte sie eine Weile an, dann überkam sie eine Ahnung, was Cathryn meinte. Meados. Die unbändige Wut der
Kreuzdrachen.
Brennend heiß fiel ihr ein, was sie zu tun hatte.
»Schnell, Trinchen, lauf zurück und zieh dich an. Ich muss nach
Ullrik sehen.« Sie stand eilig auf, während Cathryn schon in den
Felsspalt kletterte, und rannte auf den Strand hinaus.
*
    Etwa eine Stunde, bevor Marinas Einschätzung nach die Pyramidenspitze hätte aufleuchten müssen, kam sie hinter das Geheimnis, und alle Anspannung fiel von ihnen ab.
    Nerolaan hatte den klugen Einfall gehabt, kurz vor dem entscheidenden Moment in die Luft aufzusteigen und den Fleck, der
ja auf den Boden fallen musste, von oben zu suchen, aber das
war inzwischen überflüssig geworden.
    »Es ergibt keinen Sinn, einen Besucher in hilfloser Eile nach einem Lichtfleck suchen zu lassen, und das womöglich tagelang«,
hatte sie ihm erklärt, als ihr der entscheidende Gedanke gekommen war. Prüfend blickte sie zwischen der Pyramidenspitze, den
Sonnenfenstern, der Steinplatte und einigen anderen Punkten hin
und her. »Es wäre logisch, dass es einen genauen Hinweis geben
muss, wo der Lichtfleck hinfallen wird.«
    Sie sprang auf und winkte den Drachen hinter sich her. Als
Zweibeiner hatte er seine Schwierigkeiten, ihr zu Fuß über den
Sand zu folgen; er watschelte ihr auf eine Weise hinterher, die
kaum der Würde seiner majestätischen Art entsprach. Aber inzwischen, sagte sie sich schmunzelnd, war auf dieser Ebene ja ohnehin etwas mehr Spielraum da. »Diese Treppenstufen…«,

Weitere Kostenlose Bücher