Höhlenwelt-Saga 7 - Die Monde von Jonissar
dass
Ullrik ihr mit den drei oder vier Worten, die er anfangs geäußert
hatte, irgendetwas davon hätte erklären können, was zwischen
ihr, Azrani, und ihm in der Stunde zuvor geschehen war. Azranis
Herz hatte wie wild gepocht, als er sich zu Laura gesetzt hatte,
sie hatte ihr Ullriks Aufmerksamkeit so sehr gewünscht, allein
schon weil sie ihn danach endlich ohne ein schlechtes Gewissen
wieder hätte küssen können. Sie liebte ihn wirklich, sehnte sich
nach seiner Umarmung – aber nicht im Geheimen, ohne das Wissen der anderen, sondern ganz offen, in Marinas Gegenwart und
in Lauras. Hätte doch dieser Moment noch ein wenig angedauert!
Aber sie waren unterbrochen worden – in dem Augenblick, da
dieser verfluchte Betrüger Mandalor sie von hinten am Hals gepackt hatte. Sie hatten den Sieg als sicher geglaubt, aber ihre
beiden wichtigsten Gegner einfach vergessen! Welch eine bodenlose Dummheit! Marina hatte den gefürchteten Stab Mandalors zu
spüren bekommen, dieses mörderische Züchtigungsinstrument,
welches niemals das Äußere einer Frau verletzte, ihr aber die
schlimmsten nur denkbaren Schmerzen zufügte. Marina hatte ihr
zuvor schon davon erzählt.
Und auch Meados war zurückgekehrt – als ob sie sich das nicht
hätten denken können! Und hatte nun Laura entführt. Das wahrhaft mutigste Mädchen auf dieser ganzen Welt, die das reinste
Herz von allen hatte! Azrani wollte weinen, aber sie hatte längst
keine Tränen mehr.
Vor ihnen war der blaue Schein der Mauer zu sehen – es war
klar gewesen, dass Meados hierher flüchten würde, in den Schutz
dieses monströsen Bauwerks, wo seine bösen Brüder auf ihn warteten, wo die ganze magische Macht von Jonissar versammelt war
und die zwölf grauenvollen Malachista in ihren Seelenkammern
schwebten. Die unfassbare Selbstverherrlichung dieser Überwesen hatte Azrani auf ihrer Flucht durch Okaryn selbst gesehen,
auf den Wandreliefs, die ihren Höhepunkt ganz oben in dem großartigen Turm von Okaryn fanden – der Krone dieses schrecklichen Abon’Dhal-Reichs des Todes. Sie lachte bitter auf. Ausgerechnet diese Reliefs hatten ihnen den Weg zu dem Ort gewiesen,
an dem sie sich erfolgreich bis ganz zuletzt hatten verstecken
können. Von den Abon’Dhal-Bestien hätte wohl keine gedacht,
dass sich ein Fliehender jemals bis in ihr Allerheiligstes vorwagen
würde.
Sieh nur, Azrani, hörte sie Nerolaans Stimme. Vor uns – im
blauen Licht der Mauer! Ich glaube, ich kann Meados erkennen!
Wirklich?, fragte sie hoffnungsvoll. Aber im nächsten Moment
stellte sich ihr die verzweifelte Frage, was sie nur tun sollten, um
ihn aufzuhalten.
Nein, ich glaube, das ist er nicht, korrigierte sich Nerolaan. Das
müssen Tirao und Ullrik sein. Diese Nachricht erleichterte Azrani
wesentlich mehr. Ullrik! Der einzige Mensch auf dieser Welt, der
Laura vielleicht noch retten konnte! Sie war stolz auf ihn, dass er,
wie von allen Teufeln gejagt, hinter ihr hergestürmt war und die
Verfolgung um keinen Preis aufgegeben hatte. Sie hatte es ebenfalls getan, war aber hoffnungslos von ihm abgehängt worden –
wie alle anderen auch.
Azrani überlegte, was sie tun konnten, wenn es ihnen gelang,
Meados zu stellen. Einfach aufgeben und um Gnade für Laura
flehen? Sie hätte es getan, aber ihre Hoffnung war gering, dass
Meados darauf eingehen würde. Sie glaubte zwar, durch das Betrachten der Wandreliefs auf Okaryn etwas Wichtiges über das
Werk der Abon’Dhal verstanden zu haben, wusste aber nicht, wie
sie ihre Erkenntnis einbringen sollte, um Laura jetzt helfen zu
können. Mit schwerem Gemüt, ja, fast mit Verbitterung sah sie
der Begegnung mit Meados entgegen.
Sie würde verzweifeln, wenn Laura etwas zustieße. Das hatte
sie einfach nicht verdient!
Der blaue Schein am Horizont rückte näher, und Azrani wurde
immer furchtsamer zumute. Sie hoffte, so schnell wie möglich an
Ullriks Seite zu gelangen; niemand gab ihr ein besseres Gefühl
des Beschütztseins als er.
Nun sah sie auch den kleinen Schatten im Vordergrund des
Blaus… ja, das waren gewiss Tirao und Ullrik. Die beiden Drachen
und er – ob sie eine Chance gegen Meados hatten? Azrani schüttelte den Kopf. Nicht, solange Meados Laura in seiner Gewalt hatte.
Dann waren Tirao und Ullrik plötzlich fort, und Azranis Puls beschleunigte sich. Sie mussten die Mauer erreicht haben und über
die Berge hinweg in das dahinterliegende Tal eingetaucht sein.
Azrani erkannte die Gipfelkette wieder; dort hatten sie vor kurzem
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