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Hoelle auf Zeit

Hoelle auf Zeit

Titel: Hoelle auf Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Higgins
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Verstand sagte ihr, daß sie sich in einem Schockzustand befand, gegen den sie ankämpfen mußte, sonst wäre sie verloren. Sie zwang sich zu lächeln. »Brandy mit Soda, bitte.« Seltsam, aber zum erstenmal, seitdem sie an Bord gekommen war, bemerkte sie, was ihr zuvor, vielleicht wegen der gedämpften Beleuchtung, entgangen war – daß alle Plätze ringsum leer waren. Sie schien tatsächlich der einzige ErsteKlasse-Passagier zu sein.
      »Bin ich heute ganz allein?« erkundigte sie sich, als die Ste­ wardeß den Brandy brachte.
      »Fast«, kam die fröhliche Antwort. »Nur noch ein Passagier in der Sitzreihe gegenüber.«
      Auf den ersten Blick entdeckte sie am Ende des Ganges nur die Kehrseite einer weiteren Stewardeß, doch als die in Rich­ tung Bordküche entschwand, sah sie den anderen Passagier. Rafael Barbera. Sie war überrascht, schloß kurz die Augen, durchlebte noch einmal die Szene im Wagen, als sie Charles’ Zeitung gelesen und Barberas Foto betrachtet hatte. Sie war so glücklich gewesen, alles lief so gut, und jetzt dieser grauenhaf­ te Alptraum. Sie nippte an dem Brandy und atmete tief durch. Genau wie damals, als sie vom Verteidigungsministerium in London diese schreckliche telegrafische Todesnachricht be­ kam. Entweder kämpfen oder untergehen, es gab keine Alternative.
      Die Stewardeß erschien wieder. »Wünschen Sie jetzt das Abendessen, Mrs. Talbot?«
      Zuerst wollte Sarah ablehnen, doch dann fiel ihr ein, daß sie seit dem Frühstück nichts Richtiges in den Magen bekommen hatte; die mittägliche Verhandlungspause hatte nicht gereicht zum Lunchen. Deshalb nahm sie jetzt ein wenig Räucherlachs, einen Salat, etwas kalten Hummer zu sich, ohne den geringsten Appetit, aber sie mußte ja bei Kräften bleiben. Sie registrierte, daß Barbera auf der gegenüberliegenden Seite ebenfalls aß, sah ihn mit seiner Stewardeß sprechen, die sich umdrehte und herüberkam. Sie beugte sich zu Sarah hinunter.
      »Wir haben einen Film für Sie, wie üblich, Mrs. Talbot, aber da Sie heute nur zu zweit sind, richten wir uns ganz nach Ihren Wünschen. Mr. Barbera da drüben ist eins so recht wie das andere.«
      »Mir auch. Also lassen wir’s.«
      Die Stewardeß sprach nun wieder mit Barbera, der nickte und ihr lächelnd mit seinem Champagnerglas zuprostete. Er sagte noch etwas zu der Stewardeß, die zurückkam. »Mr. Barbera läßt fragen, ob Sie ihm vielleicht bei einem Glas Champagner Gesellschaft leisten würden.«
      »Ach, ich weiß nicht recht …« Es war zu spät, er steuerte bereits auf sie zu und legte dabei für sein Alter und seine Statur ein beachtliches Tempo vor.
      Auf seinen Stock gestützt, stand er vor ihr und musterte sie. »Mrs. Talbot, Sie kennen mich nicht, aber von Ihnen spricht man überall in den höchsten Tönen. Meines Wissens sind Sie Teilhaberin von Dan Morgan? Er regelt gelegentlich geschäft­ liche Angelegenheiten für mich.«
      »Das wußte ich nicht.«
      Er ergriff ihre Hand, küßte sie formvollendet, mit einem leicht amüsierten Zucken um die Mundwinkel. »Können Sie auch nicht. Das läuft über ein Sonderkonto.« Er ließ sich auf dem Platz neben ihr nieder. »Nun zum Champagner. Sie haben’s nötig. Ich habe Sie beobachtet. Allermindestens war das ein schlimmer Tag für Sie.«
      »Ach wo«, protestierte sie. »Ich glaube nicht.«
      »Unsinn.« Er nahm die zwei Gläser von der Stewardeß ent­
    gegen und reichte ihr eines. »Es klingt sonderbar, wenn das ein Sizilianer sagt, aber wer Champagner satt hat, ist auch lebens­ überdrüssig.« Er hob sein Glas. »Wie meine jüdischen Freunde sagen würden – maseltow.«
    »Was heißt das?«
    »Viel Glück, Mrs. Talbot!«
      »Danke, Mr. Barbera, das kann ich wirklich brauchen.« Sie leerte das Glas in einem Zug. »Sehr passend. Ich trinke auf das Glück, und mein Sohn ist tot. Haben Sie je so was Paradoxes gehört?«
      Und dann ließ sie das Glas fallen, drehte sich zum Fenster und weinte bitterlich, wie sie es seit ihrer Kindheit nicht mehr getan hatte. Er strich ihr sanft übers Haar und scheuchte die Stewardeß mit einer Handbewegung fort. Schließlich beruhigte sie sich, starrte aber weiter zusammengekauert in die Nacht hinaus, ließ sich von ihm trösten, wie damals von Daddy. Das hatte immer geholfen. Nach einer Weile raffte sie sich zusam­ men, stand wortlos auf und ging zur Toilette. Sie wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser und kämmte sich die Haare. Als sie

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