Hölle ohne Hintertür
Verborgenen. Auch Maria
war eine geborene Mandali. Corsetta hieß sie erst seit ihrer kurzen und völlig
misslungenen Ehe. Von ihrem Mädchennamen wusste Gunnar nichts und den durfte er
auch nie erfahren.
Sophia Pontasina, 18, kurvig
gewachsen und umflossen von blonder Mähne, war Gunnar Korlitzers Stieftochter.
Indes ein Vater-Tochter-Verhältnis hatte es nie wirklich zwischen ihnen
gegeben, sondern nur Eiszeit. Vor acht Jahren — damals noch in der Nähe von
Lugano lebend — war der Kunstmaler die Ehe eingegangen mit einer Schweizerin.
Carola Pontasina gab ihm Halt und brachte eine zehnjährige Tochter mit in die
Verbindung: Sophia, ein aufmüpfiges Geschöpf mit Flausen im Kopf. Bevor die
Familie zusammenwachsen konnte, verunglückte Carola tödlich, stürzte ab bei
einer Klettertour im Engadin. Sophia blieb beim Stiefvater, und der Mittelpunkt
des Lebens, wie es so heißt, verlagerte sich nach Italien, in die Nähe von
Mailand. Diese Gegend törnte den Kunstmaler an.
Sophia hatte außer Gunnar nur
noch eine Tante. Auch Charlotta Mueller war Schweizerin, eine magere,
unansehnliche Person mit verschrobener Weitsicht und großem Vermögen. Mit 43
Jahren entschloss sie sich, dem weltlichen Leben zu entsagen und Nonne zu
werden. Ihr gesamtes Geld — nämlich 1,6 Millionen Schweizer Franken — vermachte
sie Sophia, der einzigen Verwandten. Selbstverständlich durfte die Zehnjährige
über das Geld nicht verfügen. Die Verwaltung des Vermögens oblag Gunnar. Seine
Aufgabe war, das Mündelgeld bis zu Sophias Volljährigkeit zu überwachen und zu
mehren.
Von Gunnars Spielsucht wusste
Charlotta nichts. Im Kloster nahm ihre Weltfremdheit zu, aber sie verlor nicht
ganz den Blick für die Wirklichkeit. Nach etwas mehr als einem Jahr kündigte
Charlotta ihren Besuch an, und sie wollte das Geld sehen, das angeblich in
einem Schließfach der Mailänder Bank verwahrt wurde. Das brachte zwar keine
Zinsen, aber Gunnar hatte diese Art Sparstrumpf begründet mit der damals
grassierenden Misswirtschaft bei Geldinstituten, den empörenden Skandalen in
den Chefetagen. Tatsache war: Es gab kein Geld mehr. Er hatte alles verzockt,
hatte das Geld des Kindes, seiner Stieftochter, in Spielbanken durchgebracht
und sich in eine auswegslose Lage manövriert.
Gewissensbisse? Fehlanzeige. Er
konnte die Göre, die bei ihm lebte, nicht ausstehen. Was auf Gegenseitigkeit
beruhte. Doch ungeachtet persönlicher Empfindungen — er hatte eine riesige
Summe veruntreut, Mündelgeld, das ihm nicht gehörte. Er war geliefert, reif für
den Knast. Doch Gunnar Korlitzer fand einen Ausweg.
Ein glücklicher Umstand wollte
es, dass er kurze Zeit vorher einen jungen Mann vor dem Tode gerettet hatte.
Enrico Mandali, damals 18, war auf entlegener Landstraße zu schnell gefahren
und verunglückt. Enrico hing bewusstlos hinterm Lenkrad, der Tank explodierte,
der Wagen stand in Flammen. Enrico wäre geröstet worden bis zur
Unkenntlichkeit. Aber Gunnar, der zufällig vorbeikam, hatte seinen heldenhaften
Tag, zog ihn raus und sprang dann fluchend umher wegen der Brandblasen an
Händen und Unterarmen.
Enrico war ein Leichtfuß und
Tunichtgut — jedenfalls damals. Eine lockere Freundschaft aus Dankbarkeit
entstand, und der junge Italiener erklärte sich bereit, seinem Lebensretter aus
der Patsche zu helfen und die Hauptrolle zu übernehmen bei einer vorgetäuschten
Entführung — einer Entführung, mit der Gunnar den Verlust von Sophias Vermögen
erklären wollte.
An einem dunklen Oktoberabend
wurde die gerade mal elf Jahre alte Sophia auf dem Heimweg hinterrücks
überfallen, mit Chloroform betäubt und dann verschleppt. Die erste Forderung
des Kidnappers war, die Polizei außen vor zu lassen, mit der zweiten verlangte
er Sophias gesamtes Vermögen, von dem er — wie die Polizei glauben sollte —
irgendwie gehört hatte. Die genaue Summe erfuhr er von Sophia, der er Folter
androhte. Drei Tage lang war das Mädchen in einem kellerartigen Verlies dem
Entführer ausgeliefert, der sich ihr natürlich nur in totaler Vermummung
zeigte. Der Erpresserbrief, den Gunnar später der Nonne Charlotta und der
Polizei vorweisen konnte, war mit Maschine getippt, enthielt keine
Fingerabdrücke und keine menschlichen Partikel, aus denen man eine DNA-Probe
hätte entwickeln können. Null Hinweis auf den Täter. Die angebliche
Geldübergabe hatte sich in einem finsteren Winkel der Mailänder Altstadt
zugetragen. Die Polizei tappte längere Zeit im Dunkeln, dann wurde die
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