Hölle ohne Hintertür
freudlos. »Ich soll
das Geld abliefern, was?«
»Ah... ja. Denn... ich kann ja
nicht. Die Knete hier abholen — das haben sie abgelehnt. Und Hugo ist nicht in
der Lage, ihnen das Geld zu bringen. Er hat da ein schweres Trauma (seelische
Verletzung).«
»Was denn?«
»Er hat mal vor vielen Jahren
was Dummes gemacht. Einen Unfall mit Fahrerflucht. Aber er wurde erwischt und
musste in den Knast. Dort saß er offenbar in der falschen Abteilung. Jedenfalls
gab’s da Profis und die haben ihn geschunden bis aufs Blut. Seitdem hat er eine
tödliche Angst vor Kriminellen. Er würde umkippen, wenn er einen Ladendieb
festhalten sollte. Die schlimme Erfahrung von damals ist bei ihm zu einem
Trauma geworden.«
»Aber dein Vater beschäftigt
ihn trotz der Vorstrafe.«
»Weißt du, mein Alter ist ganz
okay. Der gibt jedem ‘ne zweite Chance. Sogar mir. Bei Hugo war das absolut
richtig. Der hat nie wieder Mist gebaut und ist meinem Vater treu ergeben.«
»Wie schön. Und ich soll für dich
also den Geldboten machen. Du müsstest wissen, dass ich Unrecht bekämpfe und
nicht fördere. Das heißt, ich müsste Gabys Vater verständigen. Du müsstest
aussagen, dass dich die beiden misshandelt haben. Außerdem könnte man ihnen
eine Falle stellen, nämlich den Zugriff vornehmen, wenn ich ihnen das Geld
übergebe.«
Martin stöhnte. »Tim, ich bitte
dich: Nichts von alldem! Denn sie würden mich umbringen. Wahrscheinlich auch
dich. Nicht Bernd und Luigi würde man auf uns loslassen, sondern andere Mafiosi
von irgendwoher aus Europa. Wir hätten keine Chance.«
»Ich für meinen Teil gehe das
Risiko ein.«
»Ich aber nicht.« Martins Ton
wurde heftig. »Nein! Niemals! Tim, es ist meine Entscheidung. Ich pfeife auf
das Geld. Und ich mache auch nicht den Köder dafür, dass diese Verbrecher ‘ne
kleine Strafe kriegen. Denn mehr als ein paar Monate Knast kämen nicht dabei
raus. Ich will nur meine Haut retten. Und du hast kein Recht, mich in Gefahr zu
bringen. Zumal du doch siehst, was die machen. Das war nur eine so genannte kleine
Warnung. Aber ich werde sie mein Lebtag nicht vergessen.«
Wenn ich den Geldboten mache,
überlegte Tim, ist Martin aus dem Schneider. Natürlich fängt mein Privatkrieg
dann erst an. Vor denen das Handtuch werfen? Eher fackele ich die Schule ab.
Und das würde ich niemals tun. Denn hier bin ich zu Hause.
Er nickte. »Okay, ich mach’s.«
Martin schloss die Augen und
atmete auf. »Das vergesse ich dir nie.«
»Ich kriege zehn Prozent
Botenlohn. Zehn Prozent von der Summe.«
»Wie? Was?«
»War nur ein Scherz.« Tim
grinste. »Und wie soll die Sache nun laufen?«
11.
Beschämende Vergangenheit
Er hat mich belogen, dachte
Maria. Der verdammte Kerl hat mich belogen. Abgehauen ist er. Schon gestern.
Oder heute ganz früh. Und er rührt sein Handy nicht an. Mistkerl!
Jetzt am Mittag füllte die
südliche Sonne das Uro-Tal wie einen Suppenteller mit ihrer Glut. Maria stand
vor der verschlossenen Eingangstür von Gunnars Bruchbude, den Motorradhelm
unter einem Arm, die andere Hand in die Hüfte gestemmt. Ihre blitzende Maschine
parkte neben dem Haus. Aus einer Tasche ihrer weißledernen Motorradkluft
nestelte sie das Handy. Jetzt bekam sie sofort Verbindung.
»Ja, Maria?«, fragte eine
Mädchenstimme auf Italienisch.
»Ihr könnt herkommen. Gunnar
ist nicht da.«
»Alles klar.«
Etwa hundert Meter westlich bog
ein holpriger Weg von der Via Quentino ab, führte um zelthohe Hügel herum,
endete auf einem ehemaligen Schrottplatz, der aber seit Jahren nicht mehr
genutzt wurde.
Von dort kam der Wagen, ein
brauner Jeep. Enrico saß am Lenkrad, Sophia neben ihm. Der Wagen schleppte die
übliche Staubfahne hinter sich her, wurde aber nie von ihr eingeholt, denn hier
regte sich kein Lüftchen, das glutheiße Tal war absolut windstill.
Der Jeep hielt. Beide stiegen
aus. Selbst wenn sie sich nicht ansahen, blieb der Eindruck, dass sie sich mit
Blicken verschlangen.
Verliebter als die beiden,
dachte Maria, kann man nicht sein.
Enrico Mandali war ihr Bruder,
26 Jahre alt, hoch gewachsen, gut aussehend wie ein schwarzlockiger Dressman.
Er arbeitete in Mailand als Fremdenführer für ein Touristik-Büro und hatte
einen sehr dunklen Punkt in seiner Vergangenheit. Allerdings wurde seine Schuld
mit jedem Tag geringer und das Opfer von damals hatte ihm längst verziehen.
Freilich — die Justiz würde das anders sehen. Und deshalb konnte alles, was
jetzt geschah, nur privat geregelt werden und total im
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