Höllen-Mädchen
sollte sie schließlich die Lösung ihres Problems finden. Vielleicht konnte der Berg ja doch mehr, als nur Geld wechseln? Nur, was hatte sie dafür zu tun?
Was tat man gewöhnlich an einem Berg? Man stieg hinauf. Das wußte doch jeder. Also nichts wie hoch!
Sobald Lacuna jedoch einen Fuß auf den münzenbedeckten Abhang setzte, rutschte dieser unter ihrem Tritt weg, und sie verlor den Halt. Es war wie verhext. Nicht, daß sie eingesunken wäre, sie kam einfach keinen Schritt voran.
Es mußte ihr aber gelingen, den Gipfel zu erreichen, und zwar schnell, sonst würde das Ultimatumsdenkmal doch noch vor ihr den Park verlassen. Und das durfte auf keinen Fall geschehen.
Sie trat ein paar Schritte zurück und dachte über diese vertrackte Situation nach. Gab es irgend etwas, das den Geldberg so erstarren ließ, daß sie ihn ohne Mühe besteigen konnte?
Sie erinnerte sich an eine Bemerkung Sofias, Humfreys mundanischer Frau. Sie hatte einmal irgendwas von ›eingefrorenem Vermögen‹ erwähnt. Es schien bedeutungslos, weckte in Lacuna jedoch den Anflug einer Idee.
Die Idee nahm Gestalt an, war aber eigentlich nicht mit ihrer Jungfernseele zu vereinbaren. Im Hinblick auf ihr auslaufendes Ultimatum hatte sie keine andere Wahl, als alles zu versuchen, was in ihrer Macht stand, und das schnell.
Bekanntlich heiligte der Zweck die Mittel: So stieg sie wieder auf das Wechselgeld, straffte den Rock, so daß er eng anlag, und setzte sich auf ihn. Die Oberfläche des Berges war überraschend kalt und ließ sie bis auf die Knochen frieren. Dann berührte sie einige Münzen in ihrer Umgebung – vor Scham erstarrt rührten sie sich nicht. Sie waren vollständig eingefroren, weil sie mit dieser speziellen Art der Kontaktaufnahme nicht anders umgehen konnten.
Lacuna war klar, daß sie jetzt nicht einfach wieder aufstehen konnte. Denn nicht ihre Füße ließen den Geldberg derartig erschauern, daß er zu Eis erstarrte. Sie schob sich also in dieser Position mit Händen und Füßen rückwärts den Abhang hoch. Das war zwar äußerst unbequem und mühsam, aber sie machte recht anständige (oder vielleicht besser gesagt, unanständige) Fortschritte. Immerhin war der Berg nicht besonders hoch. Sie konnte froh sein, daß er nicht aus großen Wechseln bestand!
Schließlich erreichte sie mit leicht ramponiertem Rock – sie hatte gar nicht geahnt, wie furchtbar dreckig mundanisches Geld war – und einem schon leicht tauben Hinterteil den Gipfel des Wechselbergs. Oben angekommen, stand sie auf unsicheren Beinen, denn die Erstarrung der Münzen hatte sich sofort wieder gelöst. Aber was mußte sie jetzt tun? Humfrey hatte ihr nicht gesagt, was sie hier oben eigentlich sollte.
Vielleicht mußte sie ja einfach nur ihren Wunsch aussprechen. Für Humfrey mochte das so selbstverständlich sein, daß er es gar nicht erwähnt hatte. Ein Versuch konnte jedenfalls nicht schaden.
»Ich wünsche mir, daß ich Vernon vor zwölf Jahren geheiratet habe«, rief sie erregt.
Dann wartete sie. Nichts geschah. Offenbar war alles umsonst. Möglicherweise war das Ultimatum schon längst abgelaufen, und sie hatte den Gipfel zu spät erreicht. Ihre Bemühungen waren nicht von Erfolg gekrönt. Das war auch kein Wunder; schließlich war sie keine Heldin, sondern nur ein farbloser Niemand.
Lacuna seufzte tief. Jedenfalls hatte sie alles versucht und für einen Augenblick einen kleinen Hoffnungsschimmer gesehen.
Schliddernd rutschte sie den Abhang des Geldbergs hinunter und lief einsam und enttäuscht den Weg zurück, den sie gekommen war. Nun blieb ihr nur noch, zum Schloß des Guten Magiers zu fliegen und ihm sein Eigentum zurückzugeben: den Schlüssel zum Erfolg und den Zauberteppich.
Als sie zum Parktor gelangte, fand sie es verschlossen. Die Statue aber war noch da. Was war geschehen? Vorher hatte die Tür doch weit offen gestanden. War es jemand anders gelungen, sie zu schließen?
Der Läufer hatte den Ausgang fast erreicht, doch irgend jemand mußte ihm die Tür sprichwörtlich vor der Nase zugeschlagen haben. Aus eigener Erfahrung wußte sie, wie schmerzhaft das war. Sie konnte jedoch niemanden sehen.
Lacuna zuckte die Achseln und steckte den hölzernen Schlüssel in das Schloß. Das Tor ließ sich ganz leicht öffnen. Dann verließ sie den Park. Und schon fiel das Tor hinter ihr zu.
»Hallo, Mami!«
Sie fuhr herum. Vor ihr stand ein kleiner blauhaariger Junge, der einen großen Wasserball in den Händen hielt. Es war der kleine Ryver, der
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