Höllen-Mädchen
Hand. Ich hab’ Dich erwischt! stand auf dem Briefpapier geschrieben. Die Unterschrift fehlte, aber nur der König wußte, wie man ein solches Gift mischte. Rose hatte lediglich eine Vermutung, wer den Brief geschickt haben könnte – jedoch keinen Beweis. Für das, was jeder in Xanth untrüglich wußte, gab es ohnehin nie den geringsten Beweis.
Das Gift wirkte äußerst langsam, aber mit tödlicher Sicherheit. Zu Beginn verlangsamten sich Graf Bliss’ Bewegungen fast unmerklich, während die Hand ganz allmählich eine tief purpurne Farbe annahm. Nach einer Weile konnte er sich allerdings nur noch mühsam dahinschleppen, und der Schmerz war trotz seiner Bemühung, denselben zu verbergen, deutlich von den Zügen seines Gesichts abzulesen. Rose kümmerte sich fürsorglich um ihn, denn ihre Mutter war mit der Hofhaltung beschäftigt.
Der Herbst verabschiedete sich mit dem betörenden Duft der Rosen und dem Anblick weißer, wachsiger Orangenblüten, und Rose wußte, daß ihrem Vater nicht mehr viel Zeit blieb. Mit jedem Tag rieselte der rubinrote Sand der großen Standuhr schneller herunter. Diese Uhr würde an seinem Sterbetag stehenbleiben und nie mehr weiterlaufen.
Graf Bliss hatte sich in sein Schicksal ergeben. Es machte ihn traurig, seine Tochter zu verlassen, die zwar eine Prinzessin von königlichem Geblüt war, aber nie Herrscherin werden könnte, denn sie war weiblich und besaß nicht die entsprechende Magie. Sie verdiente aber ein anderes Schicksal, als ihr bevorstand. Auch jetzt, da sie an seinem Totenbett wachte, war sie für ihn ein großer Trost – ebenso wie für das Ungeheuer unterm Bett. Das Ungeheuer war ein Freund aus den Kindertagen, das zurückgekehrt war, um Graf Bliss in seinen letzten Stunden beizustehen. Junge und alte Menschen sind dem Ende ihres Lebens gleichermaßen nahe, obwohl beide verschiedenen Perspektiven zustreben, und Ungeheuer waren bewährte Begleiter für diesen Schritt ins Ungewisse.
Seine teure und liebenswerte Tochter übte ihre flinken Finger im Umgang mit Nadeln, Garnen und Fäden. Er empfand ihre Zurückhaltung als eine stumme Anklage gegen die Selbstsüchtigkeit seiner tiefen und treuen Liebe zu ihr. Eine bezaubernde Prinzessin wie Rose hätte bis zu ihrem siebzehnten Lebensjahr leicht eine gute Partie finden können, aber sie blieb ledig, was vor allem seinem Wohlbefinden zugute kam. Sie war inzwischen zwanzig, und die Blüte ihrer Jugend war vergangen. Dennoch war er nicht willens gewesen, sie, die er mehr als alle anderen Menschen liebte, ziehen zu lassen, und es bestand kein Zweifel daran, daß sie seine Gefühle erwiderte.
Doch dem nahenden Tod konnte er nicht entfliehen. »Meine Tochter«, keuchte er mit sterbendem Atem. »Du wirst heiraten müssen. Doch ich fürchte mich vor dieser Hochzeit. Der König…«
Rose erschrak. »Der König würde mich nie heiraten!« protestierte sie.
»Doch, er würde – um seine zweifelhafte Legitimität abzusichern. Du bist von königlichem Geblüt. Dein Großvater war zwar ein böser Mann, hatte jedoch auch eine gute Seite. König Fid hat keine. Er wird wahrscheinlich jeden Versuch, seine Schreckensherrschaft zu unterwandern, im Keim ersticken, indem er sich die Unterstützung der schönsten, süßesten und unschuldigsten Prinzessin verschafft.«
»Vater!« Sie errötete auf eine schöne, süße und unschuldige Art.
»Du mußt dich vor dem König verstecken«, fuhr er fort. »Nur mein Leben kann dich schützen, und das ist beinahe zu Ende. In dem Augenblick, da ich verscheide, mußt auch du fortgehen – dorthin, wo der König dich nicht finden kann.«
»Ja, gewiß, mein lieber Vater«, stimmte sie nüchtern zu.
Daraufhin atmete Graf Bliss sein Leben aus. Rose wußte sofort Bescheid, denn die große Uhr stand plötzlich still. Sie bedeckte sein Gesicht mit einem Laken. In dem Augenblick, da Rose zu ihrer Mutter eilte, um ihr die Todesnachricht zu überbringen und über ein gutes Versteck zu beratschlagen, pochten zwei königliche Soldaten an das Tor. Offenbar hatten sie nur auf das letzte Rieseln der Uhr gewartet. »Nein!« schrie Rose, aber die Gräfin öffnete bereits ahnungslos die Tür.
»Wir sind gekommen, die Prinzessin Rose Pax von Bliss abzuholen«, gaben die Männer bekannt.
»Sie hat noch nie in ihrem Leben Schlechtes getan!« herrschte Lady Rose die Soldaten an.
»Richtig, aber der König wünscht sie zu sehen.«
So kam es, daß die drei königlichen Reiter des Hasses eine völlig bestürzte Rose
Weitere Kostenlose Bücher