Höllen-Mädchen
ausgewachsene Tochter hat. Nein, wir können dich nicht im Volk verstecken. Ohnehin würde dir das Leben eines Landmädchens nicht gefallen. Die Bauernburschen und Dorftölpel würden dich nicht anders behandeln, als der König es vorhat. Ich werde dich an den einzigen Ort bringen, der dem König verwehrt ist.«
»Welchen Ort meinst du, Mutter?« Rose war es bis dahin gar nicht in den Sinn gekommen, daß es ein anderes Entrinnen gab als den Tod. Die unerwartete Aussicht machte sie überglücklich.
»Schloß Roogna!«
»Aber das ist doch seit dem Tag verschollen, an dem Großvater seine Residenz verlegt hat!«
»Nicht wirklich. Es ist nur im Wissen der Menschen verschollen. Dein Vater und ich haben die Erinnerung daran bewahrt. Wir wollten dich jedoch nicht dorthin schicken, denn es gibt da ein gewisses Problem.«
»Ein Problem, Mutter? Schlimmer als das, welches wir mit dem König haben?« So etwas konnte es kaum geben, aber Roses Vertrauen in das Gute war so schwer erschüttert worden, daß sie ein noch größeres Grauen fürchtete, dessen bloße Erwähnung ihre jungfräuliche Unschuld weiter beflecken könnte.
»Nein, bestimmt nicht schlimmer. Es ist nur so, daß ich dich nicht dorthin begleiten kann, und daß es dir nicht freisteht, das Schloß aus eigenem Entschluß zu verlassen.«
»Das hieße ja, in ein Gefängnis zu gehen!« Dennoch gab ihr diese Vorstellung Mut, denn allein eingesperrt zu sein, wäre immer noch besser, als dem König in die Hände zu fallen. Wenigstens wäre ihr zarter Körper nicht unausgesetzt seinen bösen Blicken preisgegeben.
»Nur zu einem gewissen Teil, meine Liebe. Bedenke, daß du aufs beste versorgt wärest. Denn im Gegensatz zu mir entspringst du dem Blut des letzten rechtmäßigen Königs. Aber du wirst solange allein sein, bis ein guter Magier kommt, dich als Gemahlin fordert und zu seiner Königin von Xanth macht. Leider wird das wohl einige Zeit auf sich warten lassen.«
»Wie lange?« Roses Gemütsverfassung hellte sich auf. Gutes Essen? Eine Hochzeit mit einem guten Magier? Das sollte das Warten lohnen!
Ihre Mutter zuckte die Schultern. »Vielleicht zehn Jahre. Vielleicht auch länger. Wer will das wissen. Es hängt ganz vom Magier ab.«
»Aber wenn ich alt werde, dann will er mich doch nicht mehr als seine Königin!« Vor ihrem geistigen Auge erhob sich das Bild eines großen, stattlichen, kräftigen und jungen Magiers, der zum Schloß hinaufreitet, nur um eine schrumpelige, uralte Jungfer vorzufinden. Dem Mann ihrer Träume könnte sie nicht einmal die von ihr befürchtete Reaktion verübeln. Es war durchaus bekannt, daß die Qualität einer Frau von ihrer Jugend abhing. In zehn Jahren hätte sie ihr dreißigstes Lebensjahr erreicht und damit ihren Aussichten Adieu sagen müssen. Keiner Frau stand es zu, älter als dreißig zu werden, ohne verheiratet zu sein. Und selbst dann war der Spießrutenlauf nicht ausgestanden. Manch eine überlebte mit einem gewissen Anstand, so wie ihre Mutter, doch sie redete nie darüber.
»Du wirst nicht altern, meine Kleine. Ziehe dich nun wie eine gemeine Bäuerin an, da wir dich schnellstens hier herausschleusen müssen.«
Rose konnte ihre Mutter nicht weiter befragen. Ihr war klar, daß sie sich beeilen mußte. Sie warf sich die schmutzigsten und abgerissensten Kleider über, die sie finden konnte, aber sie sah ungeachtet ihrer Verkleidung hübscher aus, als es ihr gutgetan hätte. Ihr Gesicht strahlte nur allzu deutlich eine versteckte Schönheit aus, ihre anziehenden weiblichen Formen zeichneten sich unübersehbar auf Hemd und Rock ab, und so mußten sie ihre schlanke Taille auspolstern, um einen einigermaßen normalen Anblick zu bieten. Schließlich griff ihre Mutter zur Schere und schickte sich an, ihr beeindruckendes, wallendes rosenblattfarbenes Haar abzuschneiden.
Rose schrie entsetzt auf. »Nein, Mutter! Alles, nur das nicht!« Das Haareschneiden bereitete ihr körperliche Schmerzen. Als Kind hatte sie sich einmal unbedarft eine Locke abgeschnitten, worauf Schmerzsaft aus den gestutzten Haarenden herausgesickert war und sich der Rest der Haare aus Verzweiflung einen Tag lang dunkelbraun gefärbt hatte.
Ihre Mutter seufzte. »Du hast ja recht, es wäre zweifellos eine Schande. Ich will sehen, was ich sonst machen kann.« Sie flocht die langen Locken ihrer Tochter zu Zöpfen, band sie zu einem Haarknoten zusammen und schüttete zu guter Letzt Asche darüber – mit dem Erfolg, daß die Asche an Liebreiz gewann.
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