Höllen-Mädchen
seelischem Kummer bewahrte. Bedauerlich war nur, daß sie die meiste Zeit allein blieb. Sie tröstete sich allerdings über die einsamen Stunden hinweg, indem sie sich auf die Gesellschaft der Untoten freute. Denn Millie war eine ausgezeichnete Gesellschafterin. Auch die anderen Geister waren überaus charmant: die reizende Renee und ihr Freund, Jordan der Barbar, Doreen, das Kind Knopf und einer, dessen Namen sie nicht genau verstanden hatte. Sogar die Zombies waren ganz annehmbar, wenn man sie erst näher kennengelernt hatte. Rose spielte mit den Geisterdamen Karten. Sie teilte die Karten aus und mußte sie ihren Mitspielerinnen so hinhalten, daß sie selbst nicht in die Blätter kiebitzte. Aber meistens döste sie einfach vor sich hin und vertrieb sich so die Langeweile.
Doch nach einem Jahr wurde auch das Dösen ziemlich langweilig. »Ich brauche unbedingt mal Abwechslung«, maulte sie.
»Vielleicht hast du Lust aufs Kreuzsticken«, schlug Millie vor. »Auch uns Geister macht das Eintönige verdrießlich, und außerdem haben wir keine Körper mehr. Dir hingegen stehen ganz andere Möglichkeiten offen.«
Rose begann mit dem Kreuzsticken und verlor sich so sehr darin, daß ihre Finger bluteten und ihr das Kreuz weh tat. Doch das allein genügte ihr nicht, und so brütete sie eine Weile über einigen passenden Versen. Sie nahm sich vor, sie dem Magier zum Geschenk zu machen, der da kam, um sie zu heiraten.
Kleine Stiche von des Herzens Gaben,
schenkten Freude in so vielen Tagen,
wo Kreuz auf Kreuz sich legte,
mein Sinn nach dir sich regte,
soll das Geschenk dir gleich mein Ja-Wort sagen.
Durch Fleiß und Ausdauer steigerte sich ihre Fertigkeit des Stickens. Zwischendurch knüpfte sie sogar einen Teppich. Diese Beschäftigung half ihr für weitere zwei Jahre, die Zeit zu vergessen. Ohne Gesellschaft wurde ihr aber auch das langweilig. Früher hatte sie ihre Handarbeiten verschenkt. Doch hier gab es niemanden, dem sie damit eine Freude machen konnte. Sie hatte sich angeboten, Kleidungsstücke für die Geister zu nähen. Diese aber hatten mit Bedauern ablehnen müssen, weil sie ja nichts tragen konnten.
»Hast du nicht Lust, dir Jonathans Wandteppich anzusehen?« fragte Millie.
»Wer ist Jonathan?«
»Der Zombiemeister. Er… äh, ich kann nicht darüber sprechen!« Millie zeigte ihr den Wandteppich, der sorgfältig zusammengerollt in einer Abstellkammer lag. Rose rollte ihn aus und hängte ihn an die Wand. Überrascht starrte sie ihn an. Die eingestickten Bilder begannen sich langsam zu bewegen.
Tatsächlich! Sie zeigten einen geschichtlichen Abriß. Dabei zeigte der Wandteppich ihr stets jene Begebenheiten, die sie zu sehen wünschte – und das alles, weil sie eine Prinzessin war. Die wundervolle Zauberin Tapis hatte seinerzeit diesen Teppich gewebt und ihn dem Zombiemeister in Form eines Puzzlespiels überreicht. Nach dessen Tod schmückte der Teppich nun eine Wand in Schloß Roogna. Er zeigte die Geschichte von Xanth. Durch ihn erfuhr Rose das tragische Schicksal Millies, ja, sie konnte sogar verfolgen, was ihr selbst zugestoßen war, denn der Teppich zeigte jedes Ereignis der Vergangenheit bis zur Gegenwart.
Rose verlor jegliches Gefühl für die Zeit, die sie voller Entzückung mit dem Wandteppich verbrachte. Sie erfuhr alles über Xanth. Aber schließlich verlor auch das seinen Reiz. Außerdem wollte sie von einem überhaupt nichts erfahren – von ihrer Mutter, denn sie wollte deren Einsamkeit und Verfall nicht miterleben. Sie gelangte wieder einmal an eine ihrer Grenzen: Sie hatte niemanden, mit dem sie dieses Ereignis teilen konnte. Ganz egal, wie interessant die Dinge auch sein mochten – wenn man allein vor ihnen stand, konnten sie einen niemals ganz erfüllen.
Sie sprach mit den Geistern, doch diese befanden sich meistens in einem vollkommen aufgelösten Zustand. So sang sie für die Pflanzen in Schloß und Garten und las ihnen Gedichte vor. Sie bereitete sich und einem imaginären Begleiter phantasievolle Gerichte zu, und da sie für beide essen mußte, achtete sie darauf, daß es auch gut schmeckte. Weil es sich für eine Prinzessin nicht schickte, fett zu werden, waren die Portionen recht bescheiden. Außerdem zwang sie sich des öfteren zu einem Gericht, das sie am allerwenigsten mochte, nämlich Sauerkrautsuppe. Bei einer solchen Diät mußte sie am Ende dünn wie ein Geist werden!
Hauptsächlich aber verbrachte sie die Zeit damit, ihre geliebten Rosen im Hof des Schlosses zu
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