Höllen-Mädchen
hegen und zu pflegen. Das war ihr Talent, und so waren die Rosen von ganz besonderer Art. Sie lebten selbst dann noch weiter, wenn sie längst gestorben war. So stand ihre kostbare Magie jedem zur Verfügung, den es danach verlangte. Ein Gebot aber mußte unbedingt eingehalten werden: Niemals durfte eine Rose von ihrem lebenden Stiel abgeschnitten werden. Die Rosen konnten ihre Magie nämlich nur lebendig entfalten. Sie spendeten Rose so manchen Trost, doch menschliche Gesellschaft konnten sie ihr nicht ersetzen.
Eines Tages ließ Millie sich etwas Neues einfallen: »Die Bibliothek…«
Rose durchforstete die verstaubte Schloßbibliothek, in der die Bände vor sich hinmoderten, die König Roogna und seine Nachfolger gesammelt hatten. Sie berichteten von allem, was es über Xanth zu wissen gab, von seiner Geschichte, seiner Magie und seinen Menschen. Lesen war nie ihre starke Seite gewesen, doch nun fand sie einen Einstieg und verbrachte viel Zeit damit, sich mit jenen Dingen zu beschäftigen, über die im Wandteppich nichts verzeichnet war. Das Material überstieg zu einem guten Teil ihren Horizont, denn es war ja auch nicht für sie bestimmt, sondern der Erbauung von Magierkönigen vorbehalten. Aber immerhin war sie nun bereit, dem Magier, der sie heiratete, alles zu zeigen und ihm einen schnellen Zugriff auf alle gewünschten oder benötigten Informationen zu verschaffen. Kurz gesagt, sie wollte sich schon nützlich machen, bevor es soweit war.
Eines Tages, als Rose draußen frische Kopfkissen pflückte, was sie einmal im Monat tat, um ihrem Magier ein sauberes Lager zu bereiten – welch schreckliche Vorstellung, wenn der sehnlichst erwartete Magier wegen mangelhaften Schloßputzes gleich wieder kehrt machte –, erspähte sie eine monströse Schlange.
»Iiih!« schrie sie erschreckt.
Aber die Kreatur machte keine feindselige Bewegung. Statt dessen neigte sie den Kopf in vermeintlich bußfertiger Absicht. Rose fiel ein, daß es nur ganz bestimmten Wesen erlaubt war, die Wächterbäume zu passieren, und so hatte sie diese Schlange möglicherweise falsch eingeschätzt. Sie eilte nach drinnen und holte ein Wörterbuch, das sie in der Bibliothek gefunden hatte: Mensch/Schlange. Sie wußte nicht so recht, wie sie es benutzen sollte und hoffte, etwas damit anfangen zu können. Sie nahm es mit nach draußen und näherte sich zögernd der riesigen Schlange.
»Was willst du?« fragte sie auffordernd, bereit zu fliehen, wenn nur der kleinste Tropfen Gift an ihren Fangzähnen herunterlaufen sollte.
Die Kreatur zischte und zeigte nickend auf das Buch. Rose öffnete den Band auf und sah nach, was dort geschrieben stand.
›Fürchte dich nicht, süssses Mädchen‹, hieß es da. ›Ich weisss, daß diessess Schschlosss zzur Zzeit kein Grabenungeheuer hat, also bin ich gekommen, um mich um diesse Sstelle zzu bewerben.‹
Rose zeigte sich beeindruckt und erfreut. »Das ist wahr«, gab sie zurück. »Diese Stelle ist noch frei. Aber du mußt mir versprechen, weder mich noch den Magier, der mich heiraten wird, aufzufressen.«
Und wieder zischte die Schlange. »Sselbsstversständlich«, teilte das Buch mit, wobei es den alten Text überschrieb. ›Dass isst SSVR.‹
Rose schaute auf die Seite, wo nach den Sternchen folgende Erklärung stand.
SVR = Standardisierte Verfahrensroutine: Grabenungeheuern ist es nicht erlaubt, rechtmäßige Bewohner des Schlosses, die sie bewachen sollen, zu belästigen.
»Ja, so ist es richtig!« rief Rose erregt. Sie ging zurück zur Burg, während die Schlange hinter ihr herglitt.
»Ach ja, wie heißt du eigentlich?«
Die Schlange zischte, und das Buch schrieb: ›Schlange Ssouffl zu deinen Dienssten, Schwesster.‹
»Souffl? Oh, was für ein reizender Name!« rief Rose in mädchenhaftem Entzücken.
Die Schlange machte einen bestürzten Eindruck. Vielleicht hatte sie bisher keine guten Erfahrungen mit ihrem Namen gemacht. Aber Rose liebte Souffl, und wenn ihr danach war, über die Stränge zu schlagen, rief sie lauthals nach Souffl-Pastete, weil die so richtig schön fett machte.
Souffl bezog ihr Quartier im Schloßgraben, worauf sich Rose wesentlich sicherer fühlte. Wenn sie besonders einsam war, fand sie in der Schlange eine gute Unterhalterin, denn Souffl befand sich erst seit kurzem in der Abgeschiedenheit des Schlosses und wußte deswegen von mancher Neuigkeit zu berichten. Selbstverständlich hätte Rose die Nachrichten auch vom Wandteppich erhalten können, aber es bereitete
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