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Hoellenfeuer

Hoellenfeuer

Titel: Hoellenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Conrad
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allein gelassen “, erwiderte Raphael bewegt. „Das weißt du doch.“
    Eleanor nickte selig, während sie ihr Gesicht an seiner Brust barg.
    Es hätten Tage oder Wochen sein können, die sie so dort standen. Vielleicht waren es auch nur wenige Augenblicke gewesen. Eleanor hätte es nicht sagen können. Doch als sie sich endlich von Raphael zu lösen vermochte und die Augen wieder öffnete, war die Welt eine andere geworden. Es dauerte ein wenig, bis sie erkannte, was geschehen war. Es waren die umstehenden Engel, die sich verändert hatten. Ihre harten, kämpferischen Mienen waren einem freundlichen Lächeln gewichen, voller Seligkeit betrachteten rund vierhundert Engel das Paar in ihrer Mitte. Eleanor senkte beschämt den Blick und lief rot an.
    Ein einzelner Engel trat schließlich aus der Menge heraus und ging langsam auf Raphael und Eleanor zu. Er legte beiden seine Hände auf die Schultern und sah sie freudestrahlend an.
    „Es ist lange her, dass ich mich zuletzt so befreit und glücklich gefühlt habe “, sagte er. „Du hattest Recht, Raphael. Mit jedem Wort. Ich lebe lieber im Namen der Liebe Gottes und damit gegen seinen Befehl, als umgekehrt. All die Jahre, in denen ich seinen Befehl befolgte, haben mir nichts als böse Träume gebracht. Ich habe endlich erkannt, dass Gott uns unseren Zorn auf die Menschen mit unseren eigenen Waffen hat austreiben wollen. An jenem Tag, als wir die Menschen nicht als gleichwertig anerkennen wollten und den Kniefall verweigert haben, gab Gott uns den Befehl, den wir alle hören wollten. Keiner von uns wollte den Himmel verlassen, aber wir alle wollten die Menschen verdammt sehen. Wir haben uns damals schon gegen die Liebe Gottes gestellt und Gott tat nichts weiter, als uns diesen Weg des Hasses und der Finsternis weitergehen zu lassen. Wir sollten selbst sehen, dass dieser Weg falsch ist. Er wollte, dass wir selbst lernen. Dass all das richtig ist, erkenne ich erst jetzt, da ich mich so befreit fühle, weil wir bereit gewesen sind, für einen Menschen einzutreten.“
    „Nathaniel!“, brüllte Samael in diesem Augenblick. Alle wandten sich zum Fürsten der Seraphim um. Dieser stand erhobenen Hauptes da und blickte sich gebieterisch um.
    „Ich kann nicht glauben, was ich hier sehe“, fauchte er zornig und angewidert. „Habt ihr alle euch denn von Gott dem Herrn losgesagt? Wir könnt ihr es wagen, seinen Befehl so auszulegen? Seine Worte waren eindeutig. Nicht zu deuteln.“
    „Aber warum gab er uns einen solchen Befehl?“, rief einer aus der Menge. „Warum lässt er uns Dinge tun, die gegen all das stehen, wofür Gott steht?“
    Samael wandte sich in die Richtung, aus der er die Stimme vernommen hatte. „Ich weiß es nicht!“, rief er. „Gottes Wege sind unergründlich. Wir dürfen seine Weisungen nicht nach Belieben auslegen. Wir haben sie zu befolgen!“
    „Auch dann, wenn sie Gottes We sen zuwiderlaufen?“, fragte Naral. „Warum verlangt das Gute von uns, das wir das Böse sein sollen?“
    „Ich weiß es nicht!“, brüllte Samael verzweifelt. „Ich weiß es doch nicht!“
    „Ich will nicht länger der Böse sein!“, rief Nathaniel. „Ich will nicht länger gehasst werden! Niemand wird mich mehr dazu zwingen. Niemand. Vor allem aber kenne ich Gott gut genug, um zu wissen, dass er mich niemals dazu zwingen würde!“
    Nathaniels Worte hallten über den Hof und verklangen in völliger Stille. Vierhundert Engel und ein einziger Mensch hielten den Atem an. Jetzt war es ausgesprochen worden.
    „Ich bekenne mich zu Gott und sage mich von seinem Auftrag los!“, rief Nathaniel in die Menge.
    „Wir bekennen uns zu Gott und sagen uns von seinem Auftrag los!“, rief die Menge wie aus einem Mund.
    In diesem Augenblick verfinsterte sich der Himmel, ein riesiger Schatten fiel über die Berge und tauchte das Land in Finsternis.
     
    Tausende von Kilometern entfernt schienen mehrere Menschen wie aus einem Traum zu erwachen. Bess, Michael, Dr. Marcus, Schwester Veronica und weitere Stationsschwestern dachten zum ersten Mal seit über einer Woche an Eleanor. Keiner von ihnen hätte erklären können, warum sie in den letzten Tagen Eleanor so vollständig aus den Augen verloren hatten. Die Angestellten von Stratton Hall führten es schließlich auf die Aufregung zurück, die nach dem Jahrhundertunwetter im Sanatorium Einzug gehalten hatte. Der Park war stark in Mitleidenschaft gezogen worden, zahlreiche Bäume waren vom Wind umgerissen worden. Tagelang hallten die

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