Hoellenfeuer
zweifellos lang werden. Michael schlug die Bettdecke zurück und begann auf und ab zu laufen. Verdammter Raphael. Michael begann ihn aus voller Seele zu hassen.
Wenn er doch nur eine Chance von Eleanor bekäme. Würde sie ihn nur wirklich kennen, wäre alles anders, dessen war Michael sich sicher. Stattdessen hatte sie ihn bislang so vollständig ignoriert, dass ihre Anwesenheit Michael fast körperlich wehgetan hatte. Auf der Fahrt von Bude und ebenso während ihres Ausflugs nach Tintagel war sie seinem Blick ständig ausgewichen und hatte kaum mit ihm gesprochen. Zu Raphael war sie ganz anders gewesen – ihm hatte sie offen in die Augen sehen können. Sie hatte seine Nähe gesucht und mit ihm gesprochen. Bess hatte ihrem Bruder erzählt, dass Eleanor wohl ein wenig beziehungsgestört war. Wenn das stimmte, so erklärte es ihr Verhalten Michael gegenüber. Aber wie kam es dann, dass sie mit Raphael keine Probleme dieser Art zu haben schien? Ihm gegenüber verhielt sie sich, als stünde er außerhalb all dessen, wovor sie Angst haben müsste.
Michael war ratlos. Was mochte Raphael haben, was er selbst nicht hatte?
Während er unruhig in seinem Zimmer auf und ab schritt, hing auch Bess ihren Gedanken noch bis weit in die Nacht hinein nach. Auch sie ging davon aus, dass Eleanor mit Raphael durchgebrannt sein musste. Zu offensichtlich schien der Zusammenhang zwischen dem Verschwinden der beiden zur gleichen Zeit zu sein. Anders als ihr Bruder jedoch war sie nicht allzu sehr besorgt, denn auch wenn Raphael ein Patient der psychiatrischen Abteilung war, so konnte sie sich doch keinen Augenblick lang vorstellen, dass er Eleanor etwas antun könnte. Raphael mochte manch Seltsames an sich haben, aber ein Gewaltverbrecher war er nicht. Zu sehr war er auf dem Feld von Tintagel entsetzt gewesen, als Eleanor ohnmächtig wurde. Zu sehr hatte er sich auf der Heimfahrt um sie gesorgt. Und dennoch war Bess nicht in der Lage, das Geschehene richtig einzuordnen. Sicher, vielleicht war Eleanor in Raphael verliebt und die beiden waren durchgebrannt. Doch warum hätten sie das tun sollen? Es gab doch keinerlei Grund, Stratton Hall zu verlassen. Was konnte die beiden also dazu getrieben haben?
Eleanor war, ohne sich dessen bewusst zu sein, der Wahrheit näher als ihr Bruder.
Was hatte es in letzter Zeit für Vorfälle gegeben, von denen sie wusste und die in dieser Sache von Bedeutung gewesen sein konnten? Vor allem natürlich der Fund der Mädchenleiche im Treppenhaus von Stratton Hall. Die Zeitungen waren voll davon gewesen. Tatsächlich waren die Artikel dazu erst durch das Unwetter über dem Sanatorium verdrängt worden.
„Fluch über Stratton Hall!“ hatten die Zeitungen getitelt. Für die Presse war es wahrhaftig ein gefundenes Fressen gewesen, dass gleich zwei dieser Horrorgeschichten innerhalb weniger Tage das Sanatorium getroffen hatten.
Bess überlegte weiter. Gut, der Leichenfund war ganz sicher ein Zufall gewesen. Dass sich hinter einer bestimmten Wand im Treppenhaus eine Leiche befand, konnte Eleanor unmöglich gewusst haben. Auch Bess‘ Mutter hatte zudem bestätigt, dass Eleanor gegen die Geheimtür gestolpert war. Zudem war auch das Unwetter als höhere Gewalt anzusehen. Hier konnte niemand die Finger im Spiel gehabt haben. Blieb nur noch Eleanors Zusammenbruch auf dem Feld von Tintagel. Auch das war eines jener Geschehnisse der letzten Tage gewesen, das man als absonderlich ansehen musste.
„Merkwürdig “, dachte Bess. „Auf all jene Dinge, die in den letzten Tagen ungewöhnlich waren, hatte Eleanor sicher keinen Einfluss. Sie waren alle durch höhere Gewalt bestimmt… übernatürlich… aber warum hatten sie sich so gehäuft? Unmittelbar vor Eleanors Verschwinden?“
Tintagel . Tintagel. Einer plötzlichen Eingebung folgend stand Bess auf, fuhr ihren Computer hoch und loggte sich einige Augenblicke später ins Internet ein. Mit diesem Feld von Tintagel musste es etwas auf sich haben, das in dieses Schema passte…
Die Schlacht der himmlischen Heerscharen
Die gewaltigen Berghänge um das Kloster verfinsterten sich zusehends. Die anwesenden Engel sahen ebenso wie Eleanor zum Himmel hinauf, denn dieser hatte sich mittlerweile fast gänzlich bezogen. Schwarze Wolkenfetzen jagten unterhalb der dichten grauen Wolkendecke in atemberaubendem Tempo über das Firmament. Die Temperatur nahm schlagartig um mehrere Grad ab und ein eisiger Wind fegte über die hohen Pässe und durch die engen Täler des
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