Hoellenflirt
L .
5
»Natürlich hatte ich Angst. Köstliche, unglaubliche Angst wogte durch meinen Körper, durchglühte mich. Noch nie habe ich die Angst vor der Angst verstanden. Angst macht frei, löscht alle Bedenken, Angst macht dich zum Tier der Nacht.«
A uf der Heimfahrt in der U-Bahn starre ich nur vor mich hin. Mein Körper fühlt sich bleischwer an. In meinem Kopf jagt ein grauenhafter Gedanke den nächsten. Wie kann Valle das einfach von sich wegschieben? Wie schafft er das? Ich muss mehr über den Kaufhausdetektiv herausfinden. Sein Name fällt mir wieder ein. Thor Friedrichsen. Was, wenn er nicht nur eine Frau, sondern auch noch Kinder hat oder einen Bruder? Wenn ich mir vorstelle, Kati wäre einfach so verschwunden...
Ich springe auf und gehe an die U-Bahn-Tür, kann nicht länger sitzen. Wie ich mich verhalten habe, war einfach nur feige. Ich muss dem endlich ins Auge sehen. Irgendwie schieben sich jetzt auch noch so kleine Pimpfe vor mein inneres Auge, so wie in der Werbung – süße Fratzen, blond mit riesigen Kulleraugen. Warten auf Papa, der sie ins Bett bringt. Warten vergeblich.
Quatsch! Der Typ war zwar kahl rasiert und mit Sicherheit nicht so alt. Aber manche kriegen auch mit achtzehn schon Kinder.
Nein.
Hör auf, Toni.
Wenn ich zu Hause bin, rufe ich in dem Laden an und ver suche, ihn ans Telefon zu kriegen. Dann werde ich ja sehen, ob seine Kollegen schon wissen, dass er tot ist. Warum hat mir Valle nicht verraten, was mit ihm passiert ist? Und wenn...oh Gott, meine Knie werden weich – was, wenn Valles Leute irgendetwas Schreckliches mit ihm gemacht haben?
Nein, Valle ist nicht so. Das weiß ich.
Ich muss zur Polizei. Der Friedrichsen wollte mir an die Wäsche. Aber dafür gibt’s keine Beweise. Es gibt nur das Video, auf dem ich CDs klaue. Außerdem ist es bestimmt strafbar, wenn man eine Leiche verschwinden lässt.
Ich steige aus, gehe die Rolltreppe hoch. Und wenn ich doch mal mit Schwallfi rede? Wenn ich ihn als Anwalt engagiere, muss er sich an die Schweigepflicht halten. Das heißt, er darf niemandem etwas sagen, nicht einmal Mama.
Aber ausgerechnet Schwallfi?
Als ich die Wohnungstür aufsperre, kommt es mir vor wie ein Wink des Schicksals – Schwallfi steht im Flur und scheint auf mich zu warten. Erleichtert atme ich auf, will schon anfangen zu reden, doch im letzten Moment bemerke ich, dass er knallrot im Gesicht ist – vor Zorn.
»Wo warst du die ganze Zeit? Deine Mutter hat sich solche Sorgen gemacht! Sie konnte nicht aus dem OP weg. Ich bin direkt vom Gericht hierhergehetzt. Warum bist du nicht ans Telefon gegangen? Wo zur Hölle warst du?«
Gerade will ich etwas von »frischer Luft und spazieren gehen« murmeln, als sein Blick auf meinen Hals fällt.
Er schaut angewidert weg, dann wieder hin. »Du . . . miese Lügnerin gaukelst deiner Mutter vor, dir sei schlecht, schwänzt die Schule, treibst dich sonst wo herum und hast deinen Spaß!«
In diesem Moment brennen bei mir sämtliche Sicherungen durch. »So etwas könnte so einem geleckten Supertypen wie dir natürlich nie passieren!«
Er kommt näher und – zack! – haut er mir eine runter.
Ich greife an meine Wange, bin völlig fassungslos.
Schwallfi hat mich geohrfeigt. Mich! Dabei ist er nicht mal mein Vater.
Entsetzt starren wir uns an.
»Oh Gott, Toni, es tut mir leid! Das wollte ich nicht. Aber du hast mich provo. . . nein, ich meine, es tut mir wirklich leid.«
Ich stürme in mein Zimmer und werfe die Tür zu. Dann drehe ich den Schlüssel um.
Er hämmert an die Tür. »Lass mich rein, bitte!«
»Warum sollte ich – oder trittst du sonst die Tür ein?« Meine Wange brennt.
»Nein, bitte Antoinette, es tut mir wirklich leid, ich weiß nicht, was über mich gekommen ist.«
Gleich wird er winseln und mich anflehen, Mama nichts zu sagen. Er weiß ja, was Mama von solchen Strafen hält. Außerdem hält er sich selbst auch für einen besseren Menschen. Alles nur Lüge, unter der Fassade ist er ein üblerer Idiot als alle, die ich kenne.
Ich stehe vor dem Spiegel in meinem Zimmer, betrachte den Fleck auf meiner Wange, der rot wird.
Rot, röter, noch röter.
Und plötzlich sieht es dunkel aus wie Blut, sickert aus meiner Wange wie das Blut aus den Haaren des Detektivs. Schwallfi hat mir nur eine Ohrfeige gegeben, ich habe einen Menschen getötet.
Und endlich wird mir klar, was ich tun muss. Ich werde jetzt mit Schwallfi reden.
Ich gehe zur Tür und öffne sie. Verblüfft greift er sich ans verrutschte
Weitere Kostenlose Bücher