Hoellenflirt
ich die Ziffern.
Und tatsächlich geht jemand dran. Ich lasse beinahe den Hörer fallen, denn es ist eine Frauenstimme. Oh Gott – seine Frau?
»Hallo? Wer ist denn da?«, ruft die Stimme und murmelt dann etwas zu jemandem im Hintergrund.
Reiß dich zusammen, Toni. Los!
»Ich möchte gern mit Thor Friedrichsen sprechen.«
»Das geht leider gerade nicht. Bitte rufen Sie später wieder an.« Aufgelegt.
Komisch. Diese Stimme habe ich schon mal gehört. Aber wo?
Ich merke, dass ich völlig durchgeschwitzt bin, gehe zurück in mein Zimmer und lege mich aufs Bett. Jetzt fühle ich mich wieder so krank wie heute Morgen.
Das Telefon klingelt. Ganz bestimmt Mama, die wissen will, wie es mir geht.
Diesmal renne ich ans Telefon, damit sie nicht wieder Schwallfi vorbeischickt.
»Alles bestens, Mama!«, sage ich, noch bevor sie überhaupt fragen kann.
Am anderen Ende ist ein Frauenlachen zu hören. »Na, dann ist es ja gut. Hier ist Giltine. Valle hat sicher schon von mir erzählt. Hast du gerade auf dem Handy von deinem Opfer angerufen? Valle hat dir doch gesagt, dass Thor tot ist. Warum also? Was soll das?«
Sie wartet gar nicht auf eine Antwort, sondern redet gleich weiter. »Wir sollten uns treffen und mal reden.«
»Warum denn?« Diese Giltine kann nicht nur Leichen verschwinden lassen, sondern sie scheint auch daran gewöhnt zu sein, andere herumzukommandieren.
»Ich glaube, du hast einige unserer Ideen noch nicht so richtig verstanden.«
»Wie meinst du das denn?«
»Liebst du Valle?«
»Das geht dich nichts an.«
»Oh doch. Viel mehr, als du ahnst.« Sie lacht leise, und obwohl es nicht bösartig klingt, läuft mir ein Schauer über den Rücken.
»Gut, treffen wir uns. Wann und wo?« Ich muss endlich wissen, was mit Thor passiert ist, und ich werde es aus dieser Giltine herausbekommen.
»Jetzt gleich in meiner Wohnung in der Tegernseer Landstraße.«
Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es noch drei Stunden dauert, bis Mama zurückkommt.
»Gut, bis gleich.« Ich schreibe mir die genaue Adresse auf und renne aus dem Haus.
6
»Ich suchte mir einen kleinen und einen mächtigen Ast, den ich selbst kaum heben konnte. Stolperte in der Dämmerung immer wieder und hatte plötzlich die Befürchtung, mein Rascheln und Knacksen könnte ihn zum Weglaufen veranlassen. Doch dieser kaiserliche Fuchs blieb und sah gebannt dabei zu, wie ich die tödlichen Prügel vorbereitete.«
I ch stehe auf der Rolltreppe in die U-Bahn und schon von oben sehe ich, wie sich die Massen auf dem Bahnsteig drängeln. Ich stöhne auf. Das kann doch nicht wahr sein! Ausgerechnet jetzt muss die Bahn irgendeine Störung haben.
Es knackst in den Lautsprechern und dann ertönt die Durchsage der U-Bahn-Leitstelle. Sie bittet wegen der Verspätungen um Verständnis. Personenschaden, heißt es.
Die Leute fangen an zu flüstern, denn das bedeutet im Klartext, dass sich jemand vor die U-Bahn geworfen hat. Bis heute habe ich nie ernsthaft daran gedacht, so etwas zu tun, und ich merke, wie fertig ich bin, weil ich gerade überlege, was wäre, wenn...
Energisch schüttle ich den Kopf. Ich wäre im Traum nicht darauf gekommen, dass ich einmal in eine derart aussichtslose Situation geraten könnte, in der Sterben die einzige Option ist.
Thor Friedrichsen hatte nicht mal die Chance, darüber nachzudenken, weil ich sein Leben einfach so beendet habe. Ich überlege, ob ich es irgendwie anders nach Giesing schaffen könnte, aber dazu müsste ich erst mal zu einer S
Bahn-Station kommen. Und ein Taxi kann ich mir definitiv nicht leisten.
Es wird mir nichts anderes übrig bleiben, als zu warten. Ich hasse warten. Und besonders jetzt hasse ich warten. Unruhig tigere ich den Bahnsteig auf und ab, was nicht einfach ist, weil sich mittlerweile überall Grüppchen gebildet haben. Die Leute diskutieren darüber, wie verantwortungslos es von Selbstmördern ist, sich im Berufsverkehr vor die U-Bahn zu werfen, manche schimpfen auch laut. Doch ich kann nur daran denken, wie unfassbar leicht ein Mensch sterben kann, wie der Tod eines einzigen Menschen alles zerstören und unwiderruflich verändern kann.
Endlich!
Die einfahrende U-Bahn unterbricht meine Grübeleien.
Ich quetsche mich in die schon zum Bersten volle Bahn und zum ersten Mal in meinem Leben macht es mir nichts aus, Wange an Wange mit völlig Fremden eingepfercht zu sein, den faden Geruchsmix aus Zitrusdeo und ungewaschenen Haaren, von nassem Mantel, altem Schweiß und schwerem Parfum
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