Hoellenflirt
ährend der Taxifahrt zur St. Angela Kirche starre ich vom Rücksitz aus dem Fenster in die Nacht. Lausche dem Druck in meinen Ohren, eine Art Meeresrauschen, das vereint mit der Dunkelheit über mir zusammenschwappt. Nur das wilde Pochen in meinem Daumen, irritierend wie ein fremder Herzschlag, zeigt mir, wie lebendig ich trotz allem noch bin. Aber ich bin müde, so müde.
Schon von Weitem ist der Platz vor der St. Angela Kirche zu sehen, beleuchtet von sich drehenden Blaulichtern. Zwei Polizeiwagen und ein großer Rettungswagen stehen dort.
Schwallfi hat ganze Arbeit geleistet.
Mir schießen Tränen in die Augen, weil ich so dermaßen froh bin, diese flirrenden Lichter zu sehen. Ich kann gar nicht aussteigen, weil es mir so vorkommt, als wäre ich überall ganz wund, gleichzeitig strömt etwas Schweres durch meinen Körper, das mich friedlich und vollkommen ruhig macht.
Der Taxifahrer dreht sich genervt zu mir um. »Ja mei, Ihre Uhr läuft schon wieder, wenn’s jetzt alleweil himacha.«
Ich versuche, meine unverletzte Hand zur Jackentasche zu bewegen, sie kommt mir dick und unförmig vor, als würde sie zu jemand anderem gehören. Doch bevor ich mein Geld herausholen kann, rennt Schwallfi schon auf das Taxi zu, drückt dem Fahrer einen Geldschein in die Hand, legt seinen Arm um mich, registriert den herunterbaumelnden Kopfkissenbezug, schiebt ihn aus dem Weg und schleppt mich zum Rettungswagen. Und dabei sagt er kein Wort. Nichts.
»Wo sind sie?«, frage ich, höre meine eigene Stimme nur wie durch dicke Polster. Das Stechen in meiner Schulter übertönt alles, dafür sind meine Beine wie taub.
»Bitte, wo sind sie?«
»In Sicherheit.« Schwallfis Stimme klingt etwas belegt, er räuspert sich. »In Sicherheit. Kati darf mit mir nach Hause. Deinem Freund geht es schlecht, aber die Sanitäter sagen, dass er es überleben wird. Er wird gleich ins Krankenhaus gebracht und du fährst auch mit, so wie du aussiehst.«
Wir sind am Rettungswagen angekommen, wo er mich den Sanitätern übergibt, die mich sofort auf eine Trage legen, den Kopfkissenbezug vom Gürtel abschneiden, und als ich hysterisch protestiere, legen sie ihn mir in den Arm, als wäre es ein Kuscheltier. Dann werde ich mit einer knisternden Folie zugedeckt, jemand redet mit mir, aber ich kann nicht verstehen, was er sagt, und da fallen mir auch schon die Augen zu.
Als ich wieder aufwache, bin ich im Krankenhaus, in einem Zweibettzimmer, aber das andere Bett ist leer. Ich kann mich nicht bewegen, weil ich überall Bandagen habe, und mit meinem rechten Arm hänge ich an einem Tropf. Aber ich fühle mich gut, habe keine Schmerzen, nur einen dicken Schädel.
Nach und nach fällt mir ein, was genau passiert ist, und ich muss sofort wissen, wie es Valle geht. Gerade als ich mich dazu durchgerungen habe, eine Schwester zu rufen, geht die Tür auf und es kommt ein junger Pfleger herein. Er hat überraschenderweise Mandelaugen und einen Kinnbart, mit dem er wie ein mongolischer Prinz aussieht. Er stellt mir das Essen auf den Tisch neben dem Bett und nimmt die graue Plastikhaube ab, als wäre darunter ein Fünf-Sterne-Gericht. »Für Sie gibt’s das volle Programm: Gulasch mit Spätzle. Schmeckt echt gut, hab ein bisschen was von Ihrer Portion probiert.« Er grinst mich breit an, damit ich kapiere, dass das ein Witz war.
»Wissen Sie, wo Valentin Behrmann ist?«
Er schaut mich mit schräg gelegtem Kopf an.
»Wer?«, fragt er. »Den Namen kenne ich nicht.«
»Aber Valle ist mit mir eingeliefert worden! Er muss hier sein!«, sage ich verzweifelt.
Der Pfleger stellt das Tablett ab. »Na klar, jetzt weiß ich, wen Sie meinen. Ihr Vater hat ja sogar darauf bestanden, dass Sie Zimmer nebeneinander bekommen.«
»Er ist nebenan?«
Er lacht leise, dabei zittern die Spitzen seines Kinnbartes.
»Sehnsucht nach dem Freund?«
Ich nicke, richte mich auf, will sofort zu Valle hinüber, doch die Bewegung war zu schnell, mir wird schwarz vor Augen.
»Immer langsam.« Der Pfleger kommt wieder zu mir und schüttelt den Kopf. »Wir können gern bald zusammen ein Stück gehen, aber mit dem Fuß sollten Sie noch ein bisschen vorsichtig sein. Außerdem sehen es die Schwestern nicht so gern, wenn der Tropf abgerissen wird.« Er zwinkert mich mit seinen Mandelaugen freundlich an und kontrolliert die Kanüle in meinem Arm. »Und die Schulter sollte auch noch ruhig gestellt bleiben, sonst dauert es nur viel länger, bis alles geheilt ist. Ihrem Freund geht es gut, aber er
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