Höllenflut
den
schweren Beschuß zu den Oerlikons zu rennen.«
»Ich glaube, so was nennt man einen Anfall von Irrsinn«,
sagte Pitt und schaute den Vorstandsvorsitzenden an. Er hatte
alles in seiner Macht Stehende für ihn getan und konnte jetzt nur
noch abwarten, bis man Cabrillo in die Krankenstation des
Schiffes brachte.
»Trotzdem«, versetzte Cabrillo mit schwacher Stimme,
»haben Sie das Schiff und die gesamte Besatzung gerettet.«
Pitt schaute ihn mit einem müden Lächeln an. »Meinen Sie,
daß man mir bei der nächsten Vorstandssitzung eine Prämie
bewilligt?«
Cabrillo wollte noch etwas sagen, doch er kam nicht mehr
dazu. Kurz bevor Giordino, gefolgt von zwei Männern und einer
Frau, ins Ruderhaus stürmte, verlor er das Bewußtsein. »Wie
steht's um ihn?« fragte Giordino.
»Sein Unterschenkel hängt nur noch an einem Fetzen
Fleisch«, sagte Pitt. »Aber wenn der Schiffsarzt genauso gut ist
wie alle anderen an Bord, kann er ihn garantiert wieder
dranflicken.«
Giordino blickte auf den Blutfleck, der sich auf Pitts Hose
ausbreitete, »Hast du schon mal dran gedacht, dir 'ne Zielscheibe
auf den Arsch zu pinseln?«
»Wozu?« versetzte Pitt augenzwinkernd. »Die treffen doch
auch so.«
20
Nur die wenigsten Touristen kennen die
zweihundertfünfunddreißig kleinen Inseln rund um Hongkong.
Hier, abseits vom hektischen Treiben der Metropole, findet man
verträumte Fischerdörfer, alte Tempel und malerische
Bauernhöfe inmitten einer bezaubernden Landschaft. Der
Großteil der Inseln ist nicht leicht zu erreichen, von Cheung
Chau, Lamma und Lantau einmal abgesehen, auf denen acht- bis
fünfundzwanzigtausend Menschen leben, und viele sind noch
immer unbewohnt.
Mitten im East Lamma Channel, etwa acht Kilometer
südwestlich von der Stadt Aberdeen und unmittelbar gegenüber
der Halbinsel Stanley, liegt die kleine, nur knapp anderthalb
Kilometer breite Insel Tia Nan. An ihrer höchsten Stelle, einer
Bergkuppe, die etwa sechzig Meter über dem Meeresspiegel
aufragt, befindet sich ein in seiner Pracht und Herrlichkeit
nahezu einmaliges Herrenhaus.
Ursprünglich hatte hier ein Kloster mit einem Haupt- und drei
kleineren Nebentempeln gestanden, das 1789 gegründet worden
war und Ho Hsien-Ku, einer der Unsterblichen des Tapismus,
geweiht war. 1949 wurde das Kloster aufgelöst, und 1990 hatte
Qin Shang die Anlage erworben, der hier ein palastartiges
Anwesen schaffen wollte, um das ihn jeder wohlhabende
Geschäftsmann und Politiker in ganz Ostasien beneiden sollten.
Die von hohen Mauern mit gut bewachten Toren umgebenen
Gärten waren kunstvoll angelegt und mit den seltensten
Bäumen, Sträuchern und Blumen bepflanzt. Kunsthandwerker
aus ganz China waren hinzugezogen worden. Sie hatten aus dem
einstigen Kloster ein Schmuckstück chinesischer Kultur
geschaffen. Die harmonischen Bauten waren erhalten, allerdings
etwas erweitert worden, damit sie Platz für Qin Shangs riesige
Sammlung an Kunstschätzen boten, die er in vielen Jahren
zusammengetragen hatte und die Meisterwerke aus allen
Epochen der chinesischen Kultur enthielt, von der
prähistorischen Zeit bis zum Ende der Ming-Dynastie im Jahr
1644. Durch Bitten und Betteln und notfalls auch durch
Bestechung hatte er den Bürokraten der Volksrepublik jedes
Meisterwerk abschwatzen können, das er in seinen Besitz
bringen wollte.
Nach wie vor suchten seine Mittelsmänner in sämtlichen
großen Auktionshäusern Europas und Asiens und weltweit in
jeder Privatsammlung nach auserlesenen Werken chinesischer
Kunst. Qin Shang kaufte mit einer Besessenheit, über die seine
wenigen Freunde nur staunen konnten. Und was er nicht
käuflich erwerben konnte, ließ er nach einer angemessenen Frist
stehlen und auf sein Anwesen schmuggeln. Alles, was er nicht
zur Schau stellen konnte, sei es aus Platzmangel oder weil es als
gestohlen gemeldet war, bewahrte er in Lagerhäusern in
Singapur auf, nicht jedoch in Hongkong, da er den Bürokraten
der Volksrepublik nicht traute. Bei denen stand zu befürchten,
daß sie seine Schätze eines Tages beschlagnahmen ließen, um
sich selbst daran zu bereichern.
Im Gegensatz zu vielen seiner reichen Zeitgenossen hatte Qin
Shang noch nie viel für ein Leben in Saus und Braus
übriggehabt. Seit der Zeit, da er seine erste Münze erbettelt
hatte, hatte er unermüdlich gearbeitet, und auch als mehrfacher
Milliardär baute er seine Reedereiunternehmen immer weiter
aus. Ebenso unermüdlich trug er Kunstschätze aus dem alten
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