Höllenflut
China zusammen.
Gleich nach dem Kauf des Klosters hatte Qin Shang den
verschlungenen Fußweg, der von dem kleinen Hafen hinauf zu
den Tempeln führte, verbreitern und asphaltieren lassen, damit
die Baumaterialien und später seine Sammlungsstücke per
Fahrzeug den steilen Berg hinaufbefördert werden konnten. Er
wollte mehr, als nur die Tempel renovieren und umbauen lassen,
viel mehr: Er wollte ein überwältigendes Gesamtkunstwerk
schaffen, wie es auf der ganzen Welt nichts seinesgleichen hatte,
ausgenommen vielleicht das Hearst Castle in San Simeon,
Kalifornien.
Es dauerte fünf Jahre, bis das Grundstück gestaltet war und
die Tempel wieder in alter Pracht erstrahlten. Weitere sechs
Monate gingen ins Land, ehe die Kunstwerke und das Mobiliar
an Ort und Stelle waren. Im Haupttempel befanden sich Qin
Shangs Wohnräume sowie die Sport- und Freizeiteinrichtungen.
Hier standen ihm und seinen Gästen unter anderem ein
prachtvoller Billardsalon und ein riesiger beheizter
Swimmingpool zur Verfügung, der sich vom Innenraum aus in
einem fast hundert Meter weiten Bogen in zahlreichen
Windungen durch den Garten erstreckte. Des weiteren waren
zwei Tennisplätze und ein kleiner Golfplatz mit neun Löchern
vorhanden. Die drei kleineren Tempel wurden zu noblen
Gästehäusern umgebaut. Schließlich taufte Qin Shang sein
Anwesen nach der Schutzpatronin und chinesischen Göttin der
Seefahrer auf den Namen Haus der Tin Hau.
Qin Shang war ein Perfektionist sondergleichen. Unermüdlich
ließ er kleine Veränderungen vornehmen und kostbare
Verzierungen anbringen, die seinem Werk noch größere Pracht
verliehen. Der Aufwand war immens, aber er besaß mehr als
genug Geld, um seiner Leidenschaft ungehemmt frönen zu
können. Um seine vierzehntausend Kunstwerke beneideten ihn
sämtliche Museen der Welt, und fortwährend lagen ihm
Galeristen und Sammler in den Ohren, die ihm Höchstsummen
für seine Schätze boten. Aber Qin Shang kaufte nur. Er stieß nie
etwas ab.
Als das Haus der Tin Hau in all seiner Pracht und Herrlichkeit
vollendet war, wirkte es wie eine Geistererscheinung, die hoch
über dem Meer thronte und Shangs Geheimnisse hütete.
Eine Einladung ins Haus der Tin Hau wurde von den
Angehörigen europäischer und asiatischer Fürsten- und
Königshäuser sowie von allerlei Prominenz aus Politik,
Gesellschaft und Finanzwesen stets mit Freuden angenommen.
Die Gäste, die für gewöhnlich am Flughafen in Hongkong
eintrafen, wurden unverzüglich in einem großen
Privathubschrauber zu einem Landeplatz außerhalb des
Tempelkomplexes geflogen. Hohe Würdenträger und
auserwählte Besucher reisten auf Qin Shangs Boot an, einer
schwimmenden Villa, die mit sechzig Metern Länge fast die
Ausmaße eines kleinen Kreuzfahrtschiffes hatte und auf seiner
eigenen Werft entworfen und gebaut worden war. Bei ihrer
Ankunft wurden die Gäste von einer Dienerschar in Empfang
genommen, zu luxuriösen Kleinbussen geleitet und die kurze
Strecke zu ihren Unterkünften gebracht, wo ihnen für die Dauer
ihres Aufenthalts private Zofen und Kammerdiener zur
Verfügung standen. Zugleich teilte man ihnen mit, wann man sie
zu Tisch erwartete, und fragte sie, ob sie spezielle Speisen und
Getränke wünschten, Die von den Ausmaßen und der Pracht der
umgestalteten Tempel gebührend beeindruckten Gäste konnten
in den Gärten lustwandeln, am Swimmingpool ausspannen oder
in der Bibliothek arbeiten, wo sie von einem hervorragend
geschulten Personal betreut wurden. Zudem standen ihnen hier
die neuesten Publikationen sowie modernste Computer und
Kommunikationseinrichtungen zur Verfügung, damit die
Geschäftsleute und Regierungsvertreter jederzeit mit ihren
Büros und Dienststellen in Verbindung treten konnten. Die
abendlichen Diners fanden stets in feierlichem Rahmen statt.
Die Gäste versammelten sich in einem Vorraum, der wie ein
tropischer Garten gestaltet war, mit Wasserfällen und
spiegelglatten Teichen voller leuchtendbunter Zierkarpfen,
während aus feinen Düsen unter der Decke ein feiner, leicht
parfümierter Nebel versprüht wurde. Die Frauen saßen unter
kunstvoll bemalten Seidenschirmen, damit ihre Frisuren vor der
Feuchtigkeit geschützt waren. Nach dem Aperitif begaben sie
sich in die große Halle des Tempels, die als Speiseraum diente,
und nahmen auf wuchtigen Holzstühlen Platz, deren Beine und
Armlehnen mit exotischen Drachenschnitzereien verziert waren.
Je nach Wunsch konnte man mit Stäbchen
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