Höllenflut
verdutzt.
»Seit fast zwanzig Jahren. Genaugenommen wohne ich am
Rand.«
Julia zuckte verwundert die Achseln und erklärte den
Männern den Weg, während Pitt unter den Sitz griff und ein
Mobiltelefon hervorholte. »Sieh zu, daß du Harper erreichst.
Erklär ihm die Lage und sag, daß wir in Richtung Lincoln
Memorial unterwegs sind. Sag ihm, daß ich unsere Verfolger
hinzuhalten versuche, bis er einen Abfangtrupp beisammen hat.«
Julia wählte und wartete, bis sich am anderen Ende jemand
meldete. Nachdem sie Namen und Dienstnummer genannt hatte,
wurde sie mit Peter Harper verbunden, der zu Hause bei seiner
Familie weilte. Sie gab ihm einen Lagebericht, saß dann eine
Weile da und hörte schweigend zu, ehe sie den Apparat
abschaltete. Mit ausdrucksloser Miene blickte sie Pitt an. »Für
Hilfe ist gesorgt. Peter läßt dir bestellen, daß er es bedauert,
nicht wachsamer gewesen zu sein. Vor allem nach dem Vorfall
in deinem Hangar.«
»Schickt er Einsatzkräfte zum Lincoln Memorial?«
»Er trommelt sie gerade zusammen. Du hast mir immer noch
nicht erzählt, was in deinem Hangar vorgefallen ist.«
»Jetzt nicht.«
Julia wollte etwas sagen, überlegte es sich aber anders.
»Sollten wir nicht warten, bis Hilfe kommt?« sagte sie
schließlich.
Pitt musterte die am Straßenrand stehenden dunklen
Kleinbusse. »Ich kann hier nicht mehr länger rumstehen und so
tun, als ob ich auf eine Lücke im Verkehr warte, sonst meinen
unsere Freunde, noch, wir hätten sie durchschaut. Sobald wir auf
die Massachusetts Avenue kommen und uns unter den Verkehr
mischen können, sind wir einigermaßen sicher. Vor hundert
Augenzeugen trauen die sich bestimmt nicht loszuschlagen.«
»Du könntest doch mit deinem Handy den Notruf anwählen
und darum bitten, daß sie einen Streifenwagen in die Gegend
schicken.«
»Angenommen, du sitzt in der Notrufzentrale und jemand
erzählt dir eine wilde Geschichte von wegen, daß ein
orangebrauner 1929er Duesenberg von einer Horde Killer
verfolgt wird, würdest du da auch nur einen Streifenwagen
losschicken?«
»Vermutlich nicht«, sagte Julia.
»Wir sollten das Aufstellen der Hilfstruppen lieber Harper
überlassen.«
Er ergriff den langen Schaltknüppel, legte den ersten Gang
ein, stieß auf die Straße und bog nach links ab, so daß die beiden
Busse erst wenden mußten, bevor sie die Verfolgung aufnehmen
konnten. Er gewann dadurch fast hundert Meter Vorsprung, ehe
er die Scheinwerfer des ersten Busses von hinten nahen sah.
Zwei Querstraßen weiter steuerte er den schweren Duesenberg
auf die Massachusetts Avenue und schlängelte sich durch den
nächtlichen Verkehrsstrom.
Julia verkrampfte sich innerlich, als sie einen Blick durch die
Speichen des Lenkrads warf und sah, daß sich die Tachonadel
bei siebzig Meilen oder rund einhundertzehn Kilometern pro
Stunde einpendelte. »In diesem Auto gibt's keine
Sicherheitsgurte.«
»1929 hat man noch nichts davon gehalten.«
»Du fährst viel zu schnell.«
»Nichts erregt mehr Aufmerksamkeit als ein siebzig Jahre
alter und fast vier Tonnen schwerer Wagen, der sich um keine
Geschwindigkeitsbeschränkung schert.«
»Hoffentlich sind die Bremsen gut.« Julia ergab sich in ihr
Schicksal, aber ihr war alles andere als wohl zumute.
»Sie sprechen nicht so leicht an wie die modernen mit ihren
Bremskraftverstärkern, aber wenn ich tüchtig drauflatsche,
funktionieren sie bestens.«
Julia ergriff den Colt, machte aber keine Anstalten, ihn zu
entsichern oder anzulegen. Sie mochte noch immer nicht
glauben, daß ihr Leben in Gefahr war. Ihrer Meinung nach war
es undenkbar, daß sich ihre Leibwächter gegen sie gewendet
hatten.
»Warum immer ich?« ächzte Pitt, als er den wuchtigen
Wagen mit quietschenden Reifen um den Mount Vernon Square
herumzog, so daß sich die Passanten umdrehten und ihm
ungläubig hinterherglotzten. »Du wirst es nicht glauben, aber
das ist schon das zweite Mal in einem Jahr, daß ich an der Seite
einer hübschen jungen Frau den Haien zu entrinnen versuche,
die mich durch die Straßen von Washington hetzen.«
»Das ist dir schon mal passiert?«
»Seinerzeit habe ich einen Sportwagen gefahren, was die
Sache sehr erleichtert hat.«
Pitt bog über die New Jersey Avenue rechts in die First Street
ab und raste in Richtung Kapitol und Mall. Wenn ihm ein
anderes Auto in die Quere kam, verscheuchte er es mit einem
kurzen Warnton aus den beiden Hörnern, die zwischen den
wuchtigen Scheinwerfern am Kühlergrill prangten.
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