Höllenflut
Westen. Die steil aufsteigenden
106-Millimeter-Mörsergranaten der M125 schlugen auf die
offenen Decks und rissen riesige Löcher, ohne indes großen
Schaden anzurichten. Ganz anders die 155-MillimeterSprenggranaten der Paladin-Panzerhaubitzen, die dem Dampfer
gewaltig zusetzten. Doch die tief im Bauch des Schiffes
mahlenden Maschinen vermochten auch sie nicht zu
beschädigen.
Eine Granate bohrte sich tief in den Rumpf, ging im großen
Speisesalon hoch und zerriß die Wände und die Wendeltreppe.
Eine zweite schlug am Fuß des Vormastes ein, fällte ihn und
schleuderte ihn über Bord. Doch das große Schiff steckte die
Treffer einfach weg. Und dann erwiderten die bestens gerüsteten
chinesischen Kampftruppen das Feuer.
Ihre tragbaren Abschußgeräte waren zwar mit Boden-LuftRaketen bestückt, aber sie richteten sie kurzerhand auf die am
Ufer aufmarschierte Streitmacht. Die erste prallte denn auch am
Turm des vordersten Panzers ab, doch durch die Explosion
wurde die Kanone ausgeschaltet. Außerdem tötete sie den
Kommandanten, der in der Turmluke stand und den Beschuß
beobachtete, ohne damit zu rechnen, daß das Feuer erwidert
werden könnte. Die nächste traf die runde Luke im Dach des
Mörserschleppers, der prompt in Flammen aufging. Wieder
wurden zwei Männer getötet und drei verletzt.
Colonel Robert Turner, der das Gefecht von seinem mobilen
Kommandostand, einem XM-4, aus leitete, wußte überhaupt
nicht, wie ihm geschah. Nie und nimmer hätte er damit
gerechnet, daß der alte Dampfer zurückschoß. Das darf doch
nicht wahr sein, dachte er. Er setzte sich unverzüglich mit Olson
in Verbindung. »Wir liegen unter Feuer, General. Habe soeben
meinen Mörser verloren«, rief er erschrocken.
»Womit schießen die?« herrschte Olson ihn an.
»Tragbare Raketenwerfer, die uns vom Schiff aus unter
Beschuß nehmen! Offenbar nicht panzerbrechend, zu unserem
Glück. Aber wir haben Verluste.« Im gleichen Augenblick riß
eine Rakete die Kettenschürze von einem dritten Panzer weg,
dessen Besatzung indessen tapfer und unverdrossen weiter auf
den vorbeiziehenden Dampfer feuerte.
»Welche Wirkung erzielt Ihr Feuer?«
»Schwere Schäden an den Aufbauten, aber keine
entscheidenden Treffer. Es ist fast so, als wollte man ein
rasendes Rhinozeros mit einem Luftgewehr aufhalten.«
»Lassen Sie nicht locker!« befahl Olson. »Dieses Schiff muß
aufgehalten werden.«
Und dann, fast ebenso unverhofft, wie der Raketenabschuß
eingesetzt hatte, riß er ab. Erst im nachhinein sollte man
erfahren, daß Pitt und Giordino Kopf und Kragen riskiert und
die Chinesen an den Abschußrampen niedergeschossen hatten.
Die beiden robbten über das Deck, zogen immer wieder den
Kopf ein, wenn Splitter über sie hinwegzischten, und achteten
darauf, daß sie von den chinesischen Kampftruppen, die
mittlerweile wußten, daß sie an Bord waren, nicht unter Beschuß
genommen wurden. Langsam schoben sie sich am hinteren
Schornstein vorbei, blieben kurz liegen und riskierten einen
Blick auf das darunterliegende Bootsdeck mit den leeren Davits,
in denen einst die Rettungsboote gehangen hatten. Hinter einem
stählernen Schott unmittelbar unter ihnen waren vier Chinesen
in Deckung gegangen, die nach wie vor ihren Raketenwerfer
abfeuerten, ohne auf die rundum einschlagenden Geschosse zu
achten.
»Die bringen die Jungs auf dem Damm um«, schrie Giordino
Pitt ins Ohr.
»Du nimmst dir die beiden auf der linken Seite vor« brüllte
Pitt zurück. »Die anderen zwei gehören mir.«
Giordino legte mit der Schrotflinte an, zielte genau und
drückte zweimal ab. Die beiden Männer unter ihm stürzten
getroffen zu Boden. Im gleichen Moment streckte Pitts Colt ihre
beiden Kameraden nieder. Jetzt verfügte die Besatzung des
Schiffes nur mehr über Handfeuerwaffen, mit denen sie sich
allerdings nach wie vor heftigst zur Wehr setzte.
Pitt packte Giordino am Arm. »Wir müssen uns zur Brücke
durchschlagen.«
Seine Stimme brach jäh ab, als eine Haubitzengranate im
Mannschaftsquartier unmittelbar unter ihm einschlug und das
Deck aufriß. Er wurde von den Füßen gerissen, durch die Luft
geschleudert und landete an einem Lüfterkopf. Ihm wurde
kurzzeitig schwarz vor Augen. Einen Moment lang blieb er
keuchend und benommen liegen, dann rappelte er sich langsam
und mühselig wieder auf. »Scheißverfluchtes Drecksmilitär«,
keuchte er mit blutendem Mund. Doch er wußte, daß die
Männer auf dem Damm nur ihre Pflicht
Weitere Kostenlose Bücher