Höllenflut
vom gleichen Händler, bei dem ich
schon vor sechzig Jahren gekauft habe.«
Ein paar Minuten später kam Katie zurück, goß den
dunkelgrünen Tee ein und berichtete ihnen dann, wie sie Ian
»Hongkong« Gallagher kennengelernt hatte, damals, als sie
beide bei der Canton Lines Shipping Company gearbeitet hatten.
Sie erzählte ihnen, daß sie ihren Zukünftigen heimlich an Bord
der Princess besucht hatte, als das Schiff vor der Fahrt zum
Abwrackdock ausgeschlachtet wurde, und daß mit einemmal
chinesische Soldaten aufgetaucht seien, die das Schiff umstellt
und mitten in der Nacht Hunderte von Kisten an Bord verstaut
hatten.
»Einer von Tschiang Kaischeks Generälen, ein gewisser Kung
Hui-«
»Den Namen kenne ich«, unterbrach Pitt sie. »Das war
derjenige, der das Schiff beschlagnahmt und die gestohlenen
Kunstschätze darauf verfrachtet hat.«
»Und zwar unter strengster Geheimhaltung«, fügte Katie
hinzu.
»Nachdem General Hui den Oberbefehl über die Princess übernommen hatte, durften ich und Fritz, mein kleiner Dackel,
nicht mehr von Bord gehen. Ich mußte mich ständig in Ians
Kabine aufhalten, fast wie eine Gefangene, bis das Schiff einen
Monat später in einem heftigen Sturm gesunken ist. Ian hat
gemerkt, daß das Schiff auseinanderbricht. Er kam in unsere
Kabine, hat mich dick eingepackt, mehr oder weniger aufs
Oberdeck geschleift und in ein Rettungsfloß geworfen. Kurz
bevor das Schiff unter uns weggesackt ist und die See uns
davongerissen hat, stieß General Hui zu uns.«
»General Hui konnte sich ebenfalls von dem Schiff retten?«
»Ja, aber er ist ein paar Stunden später erfroren. Es war
unbändig kalt. Dazu haushohe Wellen. Das reinste Wunder, daß
wir überlebt haben.«
»Sind Sie und Ian von einem anderen Schiff gerettet
worden?«
»Nein, wird sind gestrandet. Ich war schon halb erfroren, als
er in ein Ferienhaus eingebrochen ist, den Kamin angeschürt
und mich langsam wiederbelebt hat. Ein paar Tage später sind
wir dann nach New York gefahren, zu einem Cousin von Ian. Er
hat uns aufgenommen, bis wir halbwegs auf eigenen Füßen
stehen konnten. Nach China wollten wir nicht mehr, weil dort
die Kommunisten die Macht übernommen hatten, folglich
entschieden wir uns, in den Vereinigten Staaten zu bleiben. Wir
heirateten, nachdem wir uns die nötigen Papiere besorgt hatten wie, sag' ich lieber nicht -, und dann ist Ian wieder zur See
gefahren, und ich habe die Kinder großgezogen. Wir haben die
meiste Zeit auf Long Island gewohnt, aber als die Kinder noch
klein waren, sind wir im Sommer immer an die Großen Seen
gefahren, und mit der Zeit haben wir die Gegend am Westufer
des Michigansees regelrecht liebgewonnen. Als Ian in
Ruhestand ging, haben wir uns das Haus hier gebaut. Es ist
schön hier, und wir genießen es jedesmal, wenn wir mit dem
Boot auf den See rausfahren.«
»Sie beide haben sehr viel Glück gehabt«, sagte Julia. Katie
wandte sich ab und blickte zu den gerahmten Fotos auf dem
Wandtischchen. Auf einem, das offenbar vom letzten
Weihnachtsfest stammte, war sie inmitten ihrer Kinder und
Enkel abgelichtet. Auf einem anderen war ein junger Mann zu
sehen, der auf einem Kai in einem der zahllosen Häfen Asiens
vor einem Trampdampfer stand. Daneben ein Bild von ihr,
Katrina, jung und blond, mit einem kleinen Dackel auf dem
Arm. Sie wischte sich eine Träne aus dem Auge. »Wissen Sie«,
sagte sie, »jedesmal wenn ich dieses Bild angucke, werde ich
traurig. Als Ian und ich das Schiff verließen, haben wir vor
lauter Eile Fritz, meinen Dackel, in der Kabine vergessen. Der
arme kleine Kerl ist mit dem Schiff untergegangen.«
Julia schaute auf die beiden kleinen Hunde, die Katie
schwanzwedelnd auf Schritt und Tritt folgten. »Sieht aus, als ob
Sie würdige Nachfolger für Fritz gefunden hätten.«
»Könnte ich vielleicht kurz mit Mr. Gallagher sprechen?«
fragte Pitt.
»Jederzeit. Gehen Sie durch die Küche und aus der Hintertür
raus. Er ist unten am Bootssteg.«
Pitt trat durch die Küchentür auf eine lange Veranda mit Blick
auf den See und ging dann über den Rasen hinunter zum Ufer,
wo ein Bootssteg ins Wasser ragte. Dort, auf einem
Segeltuchstuhl am Ende des Piers, entdeckte er Ian ›Hongkong‹
Gallagher, daneben eine Angelrute, die an dem niedrigen
Handlauf lehnte. Er hatte sich einen alten, verblichenen
Schlapphut über die Augen gezogen und schien zu dösen.
Das leichte Schwanken des Piers und Pitts Schritte weckten
ihn. »Bist du das, Katie?« fragte
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