Höllenflut
er mit grollendem Baß.
»Ich fürchte, nein«, antwortete Pitt.
Gallagher drehte sich um, blinzelte einen Moment lang unter
der Hutkrempe hervor zu Pitt und schaute dann wieder auf den
See. »Ich dachte, es wäre meine Frau.« Er sprach mit einem
weichen irischen Akzent.
»Schon was gefangen?«
Der alte Ire bückte sich und zog eine Kette aus dem Wasser,
an der sechs stattliche Fische baumelten. »Die beißen heute wie
wild.«
»Was nehmen Sie als Köder?«
»Ich hab' schon alles mögliche probiert, aber Hühnerleber und
Würmer sind immer noch am besten. Kennen wir uns?« fragte er
dann.
»Nein, Sir. Ich heiße Dirk Pitt. Ich bin bei der NUMA.«
»Von der NUMA hab' ich schon gehört. Wollen Sie auf dem
See irgendwas erforschen?«
»Nein, ich wollte mich mit ›Hongkong‹ Gallagher über die Princess Dou Wan unterhalten.«
Damit war es heraus. Ohne Trommeln und Trara. Nur die
schlichte Tatsache. Gallagher saß reglos da. Pitt wußte, daß er
überrascht, wenn nicht sogar erschrocken sein mußte, doch er
zuckte mit keiner Wimper. Schließlich setzte er sich steif auf,
schob den Hut nach hinten und warf Pitt einen wehmütigen
Blick zu. »Ich hab' immer gewußt, daß eines Tages jemand
kommt und sich nach der Princess erkundigt. Was haben Sie
doch gleich gesagt, für wen Sie arbeiten?«
»Für die National Underwater and Marine Agency.«
»Wie haben Sie mich nach all den Jahren aufgespürt?«
»Vor den Computern kann sich heutzutage so gut wie keiner
mehr verstecken.«
Pitt trat näher und stellte fest, daß Gallagher ein stattlicher
Mann war, der gut und gerne zwei Zentner wog und mit rund
einem Meter neunzig in etwa so groß wie er war. Das Gesicht
war erstaunlich glatt für einen alten Fahrensmann, aber
vermutlich hatte er die meiste Zeit auf See im Maschinenraum
verbracht, wo es warm war und die Luft durchdringend nach Öl
roch. Nur die rote Haut und die knollige Nase verrieten, daß er
ganz gerne einen hob. Der Bauch hing über den Hosengürtel,
aber die Schultern waren breit und stramm. Er hatte noch immer
volles Haar, doch es war inzwischen weiß geworden, genauso
wie der Schnurrbart, der seine Oberlippe zierte.
Die Angelrute schlug aus, worauf Gallagher sie in die Hand
nahm und einen hübschen dreipfündigen Silberlachs drillte.
»Die setzen Forellen und Lachse im See ein, aber ich denke
manchmal trotzdem sehnsüchtig an die Zeit zurück, als man hier
noch einen großen Hecht oder Zander rausholen konnte.«
»Ich habe mit Ihrer Frau gesprochen«, sagte Pitt. »Sie hat mir
erzählt, wie Sie beide das Schiffsunglück und den Sturm
überlebt haben.«
»Fast schon ein Wunder ist das gewesen.«
»Sie hat gesagt, daß General Hui auf dem Floß gestorben ist.«
»Der Drecksack hat nichts Besseres verdient«, sagte
Gallagher und lächelte verkniffen. »Sie wissen doch bestimmt,
was General Hui auf der letzten Fahrt der Princess für eine
Rolle gespielt hat, sonst wären Sie nicht hier,«
»Ich weiß, daß General Hui und Tschiang Kaischek die
größten Kunstschätze des alten China geraubt und die Princess
Dou Wan beschlagnahmt haben, weil sie vorhatten, ihre Beute
heimlich in die Vereinigten Staaten zu schaffen und dort zu
verstecken.«
»So war das geplant, bis Mutter Natur ihnen einen Strich
durch die Rechnung gemacht hat.«
»Ein paar ziemlich findige Leute mußten sich mächtig ins
Zeug legen, bis sie das Täuschungsmanöver durchschaut
hatten«, teilte Pitt ihm mit, »Das falsche Notrufsignal, das vor
der Küste von Valparaiso abgesetzt wurde, die ins Wasser
geworfenen Schwimmwesten, die Veränderungen an der Princess Dou Wan, damit man meint, es wäre ihr
Schwesterschiff, die Princess Yung Tai, die durch den
Panamakanal und den Sankt-Lorenz-Strom hinunter zu den
Großen Seen fährt. Das einzige, was uns noch gefehlt hat, war
der Bestimmungsort.«
Gallagher zog eine Augenbraue hoch. »Chicago. Hui hatte
über das Außenministerium alles regeln lassen, damit die
Schätze im Hafen von Chicago ausgeladen werden konnten. Ich
habe nicht die leiseste Ahnung, wohin man sie von dort aus
bringen wollte. Aber durch das schlechte Wetter sind wir nach
Norden abgetrieben. Ich kenne mich zwar ganz gut auf den
sieben Meeren aus, aber ich hätte nie gedacht, daß auf den
Großen Seen schlimmere Stürme aufziehen können als auf
jedem Ozean. Bei Gott, Mann, seither hab' ich schon manch
einen Seebären erlebt, dem's bei einem Sturm im
Binnengewässer so schlecht geworden ist, daß er fast
Weitere Kostenlose Bücher